Schwache starke Männer

Zur Premiere von König Ottokars Glück und Ende im Schauspielhaus.

PremierenfieberKönigOttokar

„Starke Männer“ sind aus dem politischen Geschehen der Gegenwart nicht wegzudenken, mögen sie nun Donald Trump, Wladimir Putin, Xi Jinping, Viktor Orbán, Recep Tayyip Erdoğan, Jair Bolsonaro oder Rodrigo Duterte heißen. Sie sind Vertreter einer sogenannten disruptiven Politik und als solche erstaunlich erfolgreich. Offenbar treten sie im 21. Jahrhundert gehäuft auf, allerdings gab es Disruptoren und „Starke Männer“ auch in früheren Jahrhunderten.

„Die Strongmen des 21. Jahrhunderts sind ein globales und in vielen Farben schillerndes Phänomen. Was sie eint, auch wenn nicht jeder von ihnen alle Merkmale in gleicher Ausprägung zeigt, ist ein disruptiver Politikstil, der historisch gewachsene politische Allianzen erschüttert, mit bestehenden Inszenierungsroutinen und politischen Gepflogenheiten bricht sowie Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen schürt. Auch stehen die Starken Männer für eine distinkte Personalisierung des politischen Feldes, die heroisch akzentuiert ist. Sie zeichnen das Bild einer antagonistischen Welt voller Feinde, in der nur diejenigen eine Chance haben, die alle Tricks  beherrschen und rücksichtslos ihre Interessen verfolgen.“

Ulrich Bröckling, Dorna Safaian, Nicola Spakowski

Wie sich die Bilder gleichen: Böhmenkönig Ottokar Přemysl (1232–1278), wie Franz Grillparzer ihn schildert, heiratet Margarethe von Österreich, um sich ihrer Länder zu bemächtigen. Als er die Chance sieht, die Enkelin des ungarischen Königs Bela zu ehelichen, trennt er sich von Margarethe, behält jedoch die Länder. Heilige Eide, alte Bräuche gelten Ottokar nichts, alles weiß er besser, ob es darum geht, den Tataren den Kampf mit dem Säbel zu erklären, den Bürgern Prags das Handwerk oder den deutschen Kurfürsten die Regeln der Kaiserwahl.

Franz Grillparzer wollte ursprünglich ein Drama über Napoleon Bonaparte schreiben. Da er eine Ablehnung des Stücks durch die Zensur fürchtete, wählte er stattdessen den mittelalterlichen Herrscher Ottokar II. Přemysl, dem er jedoch die Züge des französischen Soldatenkaisers verlieh.

Burgtheaterdramaturg Josef Schreyvogel erkannte diese Anspielungen in dem noch unveröffentlichten Text und kritisierte ihn bei der Zensurbehörde wegen „ungünstiger Erinnerungen an Napoléons zweite Heirat mit  Marie-Louise von Österreich und ungünstiger Schilderung der Böhmen“. Das Stück, vollendet im Jahr 1823, blieb unveröffentlicht. Erst als Kaiserin Karoline Charlotte Auguste im Burgtheater nach einem interessanten Text zu ihrer Lektüre fragte, hörte sie, dass ein Stück von Grillparzer seit zwei Jahren bei der Zensurbehörde liege. Es sei jedoch verloren gegangen. Auf die Intervention der Kaiserin wurde es flugs wieder gefunden und, nachdem sie es genauso flugs gelesen hatte, von ihr als ausgesprochen patriotisch erkannt.

Grillparzer hat einen bestimmten Herrschertyp im Auge (von Georg Wilhelm Friedrich Hegel gerade noch als „der Weltgeist zu Pferde“ bezeichnet), mit dem er hier hart ins Gericht geht. Er stellt ihm einen ganz anderen Charakter gegenüber, den demütigen, dienenden und gottesfürchtigen Rudolf von Habsburg. Dessen tugendhafte, aber persistente Art trägt Rudolf, der Ottokar gerade noch im Feldzug diente, die deutsche Reichskrone ein. Als Rudolf Ottokar im Namen des Reichs auffordert, zu Unrecht in Besitz genommene Lehen zurückzugeben, kommt es zum Konflikt. Beinahe gelingt es Rudolf sogar, diesen Konflikt zu schlichten und Ottokar zum Treueschwur gegen die Kaiserkrone zu bewegen. Mit Rücksicht auf dessen fragiles Ego verbirgt Rudolf die dazu notwendige Zeremonie und verlegt sie in ein Zelt, doch Ottokars Feinde reißen die Zeltwand im entscheidenden Moment weg – gerade als Ottokar vor Rudolf kniet – und die Zurschaustellung kränkt Ottokar so sehr, dass er anschließend in einen Vernichtungskrieg gegen Rudolf zieht, den nur einer von den beiden überleben kann.

Beide Figuren sind in dieser Form erfunden und überhöht, umso deutlicher zeigt sich, dass Grillparzer hier zwei Sorten Politiker vorstellt, um an ihnen zu untersuchen, wie stark die „Starken Männer“ wirklich sind, wie wichtig – und auch wehrhaft – aber die Verwurzelung in der Gruppe, in der Tradition, in Werten ist. Napoleon war spektakulär gestürzt. In seiner großen Zeit hatte er einen Strudel von Bewunderung und Unterwerfung schaffen können. Ein Teil Europas sah in ihm den neuen Typus des Politikers, den alten Potentaten überlegen. Seine Schwäche aber war die Überzeugung, immer weiter siegen zu müssen.  Clemens von Metternich gegenüber fasste er es 1813 bei einem Gespräch in Dresden in diese Worte: „Bedenken Sie meine Lage. Ich bin ein Usurpator. Um bis hierher zu gelangen, musste ich den besten Kopf und den besten Degen Europas haben. Um mich zu halten, muss auch weiterhin jedermann davon überzeugt sein. Ich darf das Ansehen dieses Kopfs und dieses Degens niemals sinken lassen. Ich kann mich niemals mit einer geschlagenen Armee zurückziehen.“

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