Schönsprecher und Zungenbrecher

Raphaela Bardutzkys Fischer Fritz in den Kammerspielen.

FischerFritzKammerspiele

Fischer Fritz ist ein neues Stück der Münchner Autorin Raphaela Bardutzky. Raphaela Bardutzky ist eine listige Person. 2017 schrieb sie an den damals gerade pensionierten ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Volkswagen AG, Martin Winterkorn, einen Brief, in welchem sie ihm vorschlug, ihr jedes Jahr von seiner Rente doch 12.000 Euro abzugeben, dann würde sie mehr Zeit zum Schreiben haben. Von derselben Summe, welche sie durch Nebenjobs verdiente, lebte sie nämlich zu dieser Zeit.

Raphaela Bardutzky hatte den Medien entnommen, dass Martin Winterkorn von der Volkswagen AG eine Rente von täglich 3.100 Euro bezog, das waren im Jahr 1,1 Millionen Euro, also 94-mal so viel wie Bardutzkys 12.000. Im Gegenzug zu dieser Zahlung durch den Ex-Top-Manager erklärte Raphaela Bardutzky sich bereit, der ersten bedürftigen Person, die sie darum bitte, ebenfalls den 94. Teil ihres Jahreseinkommens zu spenden – das wären im Jahr 2017 bei ihr 136,91 Euro gewesen.

Fischer Fritz
Lutz Zeidler und Daniel Klausner | Foto: Herwig Prammer

Raphaela Bardutzky schrieb den Brief an Winterkorn im Rahmen eines Theaterprojekts zum Thema „soziale Ungerechtigkeit“, allerdings schickte sie ihn nicht ab: Unter anderem, weil sie von dem Abgasskandal der VW-AG gehört hatte, wegen dem Winterkorn in Deutschland vor Gericht steht, und weil Bardutzky sich nicht sicher war, ob sie – sollte Winterkorn ihr wirklich die 12.000 Euro überweisen – sich nicht zur Profiteurin an der Belastung unserer Umwelt mit Stickoxid machte. Der Fall erinnerte sie an ihre Großtante Anni, deren große Liebe ein Prager Biologiestudent gewesen war, der dieser im Sommer 1940 beiläufig erzählt hatte, dass er sich sein Studium durch Spitzeldienste für die GESTAPO finanzierte. Diese Nebentätigkeit war auch der Grund, dass er 1945 der Rache seiner Opfer verfiel und auf dem Wenzelsplatz erschlagen wurde. Die Großtante hatte dazu gesagt, dass aus schmutzigem Geld nichts Gutes gedeihe. Statt den Brief an Winterkorn zu schicken, veröffentlichte Raphaela Bardutzky ihn im Internet. Wo ihn nicht nur Martin Winterkorn lesen konnte (wenn er seinen Namen googelte). Nach Angaben ihres Verlags ist bisher noch kein Geld von dem Ex-Top-Manager bei Bardutzky eingegangen.

Fischer Fritz
Nele Christoph und Daniel Klausner | Foto: Herwig Prammer

Im Grunde eine einfache, vielleicht ein bisschen freche, für die Autorin nicht untypische Idee. Von einer einfachen Ausgangslage (Junge Künstlerin, kein Geld, reicher Ex-Top-Manager, Geld wie Heu) geht es in drei Zügen in eine ziemlich komplexe Situation, mit geschichtlicher Vergangenheit und ethischem Dilemma. Je einfacher das Ausgangsproblem, desto schneller bricht die Welt mit ihrer Unordnung hinein. Etwas ganz Ähnliches gilt für ihr Stück Fischer Fritz. Da fängt alles damit an, dass der Sohn Franz nicht in den Handwerksbetrieb seines Vaters Fritz einsteigen, sondern lieber in die Großstadt ziehen will, wo er einen anderen Beruf ergreift (Frisör). Wenige Jahrzehnte später ist der Vater ein alleinstehender Mann und hat einen Schlaganfall. Zwar macht er eine Reha, kann auch von seiner Rente leben, kann aber alleine nicht mehr für sich sorgen. Für ein Pflegeheim würde sein Geld reichen, doch der Vater will zu Hause bleiben, will sein altes Leben nicht so einfach aufgeben. Auch sein Sohn ist nicht bereit, für die vorübergehende Situation mit seinem Vater sein Leben und seinen Beruf in der Großstadt aufzugeben. Frauen, die in Familien wie der von Fritz und Franz typischerweise einspringen müssen, wenn Pflegearbeit getan werden muss, gibt es in der näheren Verwandtschaft keine mehr. Und für eine deutsche Pflegekraft reicht Fritzens Rente nicht. Aufgrund des demografischen Wandels wächst der Bedarf an Pfleger:innen in Österreich und Deutschland in den letzten 30 Jahren stetig an. Trotz der großen Nachfrage führt das aber nicht zu einer entsprechenden Verbesserung in der Lohnentwicklung auf dem Sektor, sondern vorwiegend zu einem Ausweichen in den Arbeitsmarkt unserer östlichen Nachbarländer. Viele der Pfleger:innen, die aus Polen, Tschechien, der Ukraine zu uns kommen, arbeiten als 24-Stunden-Pfleger:innen umso mehr in prekären Verhältnissen, nicht nur entspricht ihre Bezahlung kaum der Arbeitsleistung, zudem sind sie oft sozial und sprachlich an ihrem Arbeitsort schlecht integriert. So geht es auch der jungen Pflegerin Piotra, die aus Polen zu Fritz kommt und ihr Deutsch verbessern muss. Auch Fritz muss seine Muttersprache wieder lernen, weil der Schlaganfall seine Sprechfähigkeit beeinträchtigt hat. Auch einfache Aussagen werden für ihn zu Zungenbrechern, denn: Fischers Fritz fischt keine frischen Fische mehr. Keine frischen Fische fischt Fischers Fritz.

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