Rückkehr nach Klassenkampf

Nora Abdel-Maksoud entlarvt in ihrem sensationell ehrlichen Stück Café Populaire unseren alltäglichen Klassismus, Vorurteile und die damit einhergehende Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft.

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Die „Ismen“ gehen um. Nicht nur in Europa, sondern überall. Karl Marx nannte seinen einst Kommunismus. Mussolini prägte den Faschismus. Und um die Reihe der altbekannten Ideologien komplett zu machen, muss natürlich auch der Liberalismus und der Konservatismus erwähnt werden. Und allesamt kreisen bis heute um einen zentralen „Ismus“, arbeiten sich an ihm ab, bejahen ihn, verneinen ihn, aber um ihn herum kommen sie alle nicht: Der Kapitalismus; im politischen Kontext gerne auch als Neoliberalismus bezeichnet.

Doch wer nun glaubt, diese Vielzahl von „Ismen“ wäre schon kompliziert, der irrt sich. Denn bei allen Unterschieden eint die genannten immerhin, dass sie markante politische Erzählungen erkennen lassen. Erzählungen, die sich häufig vom vorherrschenden Kapitalismus zu- oder von ihm abwenden und auch bevorzugte Adressat:innen ausweisen können. Ob nun das Bürgertum oder das Proletariat, ob Landwirtschafts- oder Religionsgemeinschaft – die Gesellschaft wird gerne aus Sektoren bzw. Klassen bestehend wahrgenommen und beschrieben. Und um jene wetteifern nun die Ideologen und fanden auch entsprechend Rückhalt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg schwinden diese Sicherheiten jedoch zunehmend. Das hängt im Wesentlichen damit zusammen, dass die „Systemfrage“ in den Hintergrund tritt. Francis Fukujama spricht nach dem Mauerfall sogar vom „Ende der Geschichte“, da nun klar sei, dass das kapitalistische Modell des Westens das beste und siegreiche ist. Und auch die Einteilung in Klassen verliert ihre Gültigkeit. Das Proletariat wird vielfältiger, viele Arbeiter:innen würde man heute im Kleinbürgertum verorten. Umgekehrt sind wiederum einige akademische Laufbahnen schlicht als prekär zu bezeichnen. Jedoch führte jenes Ende keineswegs zum Verschwinden der „Ismen“ – im Gegenteil: Es kommt zu einer regelrechten Ballung, die bis heute anhält. Die „Ismen“ werden aber sukzessive akademischer und sie beziehen sich vorrangig auf die Kultur; also auf die Sprache und Lebensweise einer Gesellschaft, unabhängig von Klassenzugehörigkeit oder politischem System. So ist derzeit etwa viel von Rassismus die Rede. Oder von Feminismus, von Sexismus oder neuerdings von Identitarismus. Jene „Ismen“ zeichnet aber aus, dass ihr Ziel nicht mehr die Veränderung der gegebenen Umstände ist, sondern sie zielen auf die Anerkennung von Problemen. Folge jener Anerkennung soll zwar eine Verbesserung sein, aber innerhalb der systemischen Grenzen des Bestehenden.

Café Populaire
Foto: Philip Brunnader

Und so zeigt sich, dass die jüngsten Debatten eben hauptsächlich Diskurse sind. Während in den 1960er-Jahren die revolutionäre Tat (beinahe) greifbar war, stehen heute Attribute wie Achtsamkeit und Sprachsensibilität im Vordergrund. Um es am Beispiel des Feminismus überspitzt zu verdeutlichen: Der frühe Feminismus knüpfte die Emanzipation verstärkt an die Veränderung des kapitalistischen Systems, die derzeitige Debatte zielt aber eher auf Anerkennung und Sichtbarkeit – etwa in Form gendergerechter Sprache. Kritiker:innen jener neuen Debatten betonen nun aber, dass sich die „neuen Ismen“ – ähnlich der „alten“ – dadurch von der Wirklichkeit entfernt hätten. Es seien akademische Gefechte, die einer kleinen Kulturelite als moralisches Machtinstrument dienen. Diese setze sich, so ein Vorwurf, zwar für marginalisierte Gruppen ein. Sie tun dies aber hauptsächlich, um sich selbst zu profilieren. Und nicht, um etwa eine konkrete Umverteilung der ökonomischen Verhältnisse anzustreben.

Es herrschen also innere Spannungen vor in der gegenwärtigen Debattenkultur. Und besonders deutlich werden jene Widersprüche in einem der neusten Begriffe – dem Klassismus. Wobei, neu? Das klingt doch sehr nach „alt“, nach Klasse und Klassenkampf, oder nicht? Und tatsächlich – der Begriff der Klasse feiert ein Revival. Durchschlagende Bucherfolge wie Didier Eribons Rückkehr nach Reims oder Édouard Louis’ Wer hat meinen Vater umgebracht zeugen davon. Doch ist es auch eine Rückkehr der Systemfrage? Eine Rückkehr des Klassenkampfes? Just darin liegt der sprichwörtliche Hund begraben. Und Nora Abdel-Maksoud widmet sich diesem in Café Populaire ebenso genuss- wie humorvoll.

In Café Populaire wird nämlich deutlich, dass der Begriff des „Klassismus“ zwar die Klasse im Mund führt aber auf den Klassenkampf vergisst. Klassismus meint somit vielmehr eine weitere Form der Diskriminierung, die angeprangert wird. Es soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass Menschen aufgrund ihrer Klassenzugehörigkeit ausgegrenzt werden. Sei es, weil man sie als bildungsfern bezeichnet oder weil sie sich bestimmte bürgerliche Verhaltensweisen nicht entsprechend aneignen (können). Es wird also wieder auf Sprachsensibilität und Anerkennung gezielt. Und diese Anerkennung wird meist just von Akademiker:innen eingefordert, die sich selbst nicht der Klasse des ausgeschlossenen (Sub)Proletariats zugehörig fühlen.

Café Populaire
Foto: Philip Brunnader

Exemplarisch führt Maksoud auch jenen Typus vor: Svenja ist eine junge Frau, die Kunst studiert hat und als Clown im Hospiz arbeitet. Sie will mit ihrem Programm auf klassistische Diskriminierung aufmerksam machen. Sie meint es also gut. Aber sie hat damit auch Probleme. Ihr größtes Problem ist sicherlich „Der Don“ – ein Alter-Ego von Svenja, der die Armen verachtet und nur auf den eigenen Vorteil bedacht ist. Ein weiteres Problem von Svenja: Ihr Programm ist nicht witzig, weil alle Pointen politisch korrekt sein müssen. Dies kritisiert der Don und lässt seinen Einfluss auf Svenja wachsen. Denn sie hat auch finanzielle Probleme. Und als sie bemerkt, dass mehr Publikum generiert werden kann, wenn sie spricht wie der Don, beginnt der Zweifel an ihr zu nagen. Und zu allem Überfluss geschieht dann noch etwas Unerwartetes; etwas, das Svenja in ihrer Existenz bedroht: „Die Möwe“, ein von Svenja geliebtes Kulturlokal, sucht einen neuen Pächter.

Um sich zu bewerben, nimmt Svenja ein Video auf, in welchem sie Aram vorstellt. Aram gehört zum Dienstleistungsproletariat des Ortes. Er liefert Essen aus und arbeitet parallel in vielen Mini-Jobs. Und deshalb will Svenja deutlich machen, wie wichtig Aram ist und jegliche Diskriminierung aufgrund seiner Klassenzugehörigkeit fehl am Platze, weil eben klassistisch sei. Doch just jener Aram wird nun zur direkten Konkurrenz. Denn Aram sucht für seine Familie ebenfalls eine Wohnung sowie eine feste Arbeitsmöglichkeit. Und da die Eigentümerin nur an das Proletariat, (Stichwort: Quote), verpachten will, bekommt Aram den Zuschlag und nicht Svenja. Das findet sie freilich unfair und ihre verdrängten, abwertenden Gefühle gegenüber Aram kommen immer mehr zum Vorschein. Der Don übernimmt also das Kommando und Maksoud gelingt damit zu zeigen, dass mit der Warnung vor Klassismus spätestens dann Schluss ist, wenn man selbst in den Konkurrenzkampf des kapitalistischen Arbeitsmarktes gezogen wird. Die Frage nach dem System – nach Fairness und Verteilung – rückt bei ihr also wieder in den Mittelpunkt. Denn umgekehrt suggeriert sie, dass der Ursprung für Hass und Verachtung vielleicht weniger in der Sprache und Kultur zu suchen ist als vielmehr in der harten Konkurrenz um das eigene Wohl. Svenja wirft nämlich ihre hehreren Prinzipien genau dann über Bord als sie ihre Pläne und Zukunft gefährdet sieht. Also doch zurück zur Klassenfrage? So einfach ist es auch wieder nicht, wie Maksoud – ebenfalls mit viel Charme – zu zeigen weiß. Denn wie sich herausstellt, ist Aram gar kein Proletarier mit Migrationshintergrund, sondern studierter Wirtschaftspsychologe. Er hat sich also nur als Proletarier inszeniert, um an die Wohnung und das Lokal zu kommen. Zukunftsängste sind also keine Frage der Klassenzugehörigkeit mehr, sie sind längst in der so-genannten „bürgerlichen Mitte“ angekommen.

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