Parabel auf das Älterwerden

Komponist und Librettist Reinhard Febel zur Uraufführung seiner Oper Benjamin Button.

PremierenfieberBenjaminButton

Wenn Anfang April die Uraufführung von Benjamin Button im Großen Saal des Musiktheaters stattfindet, hat Komponist Reinhard Febel mehr als vier Jahre an dieser großformatigen Oper gearbeitet. Im Gespräch erinnert er sich noch sehr genau, dass er den letzten Strich für diese Komposition, für die er auch selbst das Libretto verfasste, am 1. Mai 2023 getan hat.

Dabei ist zuerst der Text entstanden und dann die Komposition. Aber die Entstehung der Musik hat auch den Text verändert, das Libretto hat zahlreiche Transformationen durchlaufen, war ursprünglich noch viel umfangreicher als es in der letztendlichen Version auf die Bühne kommen wird. Aber, und da ist Reinhard Febel im Gespräch Anfang Februar spürbar hin und her gerissen zwischen der Leidenschaft für die Materie und der Liebe zum Sujet und zum Text, es musste gekürzt werden. Denn Ziel war, die Oper in etwa auf die Länge eines Spielfilms zu bringen – nicht nur, weil diese etwa 100 bis 140 Minuten eine eingeübte Zeiteinheit sind, sondern auch, da es gewisse Affinitäten zwischen Benjamin Button aus der Hand Reinhard Febels und dem Kino gibt. Ohne dass dabei spezifisch auf den Hollywoodfilm mit Brad Pitt und Cate Blanchett verwiesen würde (auch wenn der Komponist den Film selbstverständlich kennt und sich auch mit der Ästhetik dessen auseinandergesetzt hat). In einer solchen Dauer, davon ist Febel überzeugt, lässt sich auch der Spannungsbogen halten, lässt sich eine solide Dramaturgie des Narrativs bauen.

Bei F. Scott Fitzgerald, dem Autor der Novelle, ist Benjamin Button eher eine Skizze, die zahlreiche Perspektivwechsel durchläuft, in der zahlreiche menschliche und soziokulturelle Anknüpfungspunkte auftauchen. Aber wo der Text für Fitzgerald eher Gebrauchswerk war, mit den populären und leichtverkäuflichen Kurzgeschichten und Novellen ließ sich der extravagante Lebensstil des Autors gut finanzieren, künstlerisch strebte er allerdings stets nach seinem „großen Roman“, verdichtet Febel das Libretto, fügt Zeitebenen hinzu, schafft nahezu übersinnliche Aspekte in Form von möglicherweise gottgleichen, in jedem Fall aber mystischen Kuscheltieren, füllt die Erzählung und entwickelt sie so weiter. Der Begriff des Weltenbauers kommt während eines Gesprächs mit dem Komponisten und Librettisten (der auch schon einige eigene Kurzgeschichten und auch Romane veröffentlicht hat) ebenso auf und er passt hervorragend auf die Idee hinter der Dynamik, die Benjamin Button innewohnt. Er selbst zieht einen Vergleich zu Jonathan Swifts Gullivers Reisen mit seinen unterschiedlichen Sphären, Menschen, Lebensentwürfen und auch den sozialkritischen und ironischen Aspekten des Romans, ohne dabei einen Wirklichkeitsanspruch zu stellen. Vielmehr sollte man, so Febel, diese Geschichte als fast veristisch akzeptieren, in diese Geschichte eintauchen und sie als fantastisches, aber eben auch absolutes Narrativ zu akzeptieren. Dabei hält der Komponist es ganz mit den Worten seines italienischen Berufskollegen Ferruccio Busoni, der überzeugt davon war, dass Oper der Realität etwas „Übernatürliches oder Unnatürliches“ hinzufügen müsse, um ihr so den Spiegel vorzuhalten – egal ob als Zauberspiegel oder als Humorspiegel, dass „bewusst gegeben wird, was in dem wirklichen Leben nicht zu finden ist“.

Und das Übernatürliche, das Unnatürliche, aber auch die Komik sind Benjamin Button eingeschrieben, darauf legt auch Reinhard Febel großen Wert: Für ihn beginnt das Stück als Groteske; Elemente des Slapsticks sind wichtig, um sich der skurrilen Geschichte anzunähern, die im weiteren Verlauf ihren Schwerpunkt verändert. Denn, in diesem Sinne ist eine Uraufführung eben auch das Fortschreiben von Tradition, auch in dieser Geschichte geht es um die Liebe. Die Liebe zwischen dem rückwärts alternden Benjamin und Hildegarde, die auf vertraute Art altert, ist für den Komponisten eine große, poetische, aber auch tragische Liebesgeschichte. In der Unmöglichkeit der Begegnung erinnert dieses Paar Febel auch an Tristan und Isolde, an deren Begegnung ohne Gleichen, in der für einen Moment alles aufgehoben scheint, ehe sich Lebenswege wieder auseinander bewegen (müssen). Dieser Augenblick ist die Mitte des Stücks, der Punkt, an dem das Alter der beiden zentralen Figuren Benjamin und Hildegarde einander entspricht, an dem sie auf Augenhöhe miteinander sind – dieser Moment ist im Werk von einer lyrischen Eindrücklichkeit. Ab diesem Punkt beginnt der Duktus des Werks zu changieren: Während die Skurrilität erhalten bleibt, bewegt sich die Erzählhaltung zunächst stärker auf die Liebesgeschichte zu, um schließlich zur Parabel auf das Älterwerden per se zu werden. Für Febel wird gerade die Figur der Hildegarde, die sich in Benjamin verliebt, die aber vorwärts altert, so dass sie anfangs zu jung und er zu alt ist und am Lebensende sie eine alte Frau ist, die zu einer Mutterfigur für den jung gewordenen Benjamin wird, Zeugin des Verschwindens des von ihr geliebten Mannes wird. Damit wird die Figur dieser Frau und ihre Beziehung zu Button zu einer Analogie für mit dem Älterwerden verbundene Ängste, für Einsamkeit, aber auch für Demenz, für das schleichende Verschwinden einer Person. Das Werk erhält kein Happy End, der Komponist verweigert, so wie Fitzgerald auch, das Elysium: Benjamin Buttons Geist vergeht in seiner Geburt am Ende seiner Zeit. Auch wenn nicht alles glücklich endet, so wird das Werk nicht nur zum Epochenbild, sondern auch zum Panorama. Für Reinhard Febel steht der Sog der Zeit im Fokus, der auch immer wieder die Musik pointiert durchwebt (eine Riesenratsche fungiert beispielsweise als eine Art Uhrenticken), das Porträt von Persönlichkeiten im Strom der Zeit, im Strom der Umbrüche und Verwerfungen.

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