Da sein politisches Engagement für die Revolution von 1848/49 gescheitert war, hat Wagner als Kunst-Revolutionär die Welt der Oper umgekrempelt. Völlig neuartig war seine Harmonik, die – in ständiger Bewegung – es mitunter gar nicht mehr zulässt, ein festes Zentrum auszumachen, seine Leitmotivtechnik und seine emanzipatorische Behandlung des Orchesters, in dem er einzelne Farben zu einem Klangsog verschmilzt. Für die einen das Ende der Musik, für die anderen das Betreten einer musikalischen Welt, aus der noch die Gegenwart zu schöpfen weiß – faszinierend und beängstigend zugleich. Zu letzterem Standpunkt gelangen auch die Meister, die Stolzing mit dem Urteil „versungen“ aus dem Wettbewerb um die Hand Evas ausscheiden lassen. Nur ein einziger besitzt die Souveränität, eine Qualität im Vortrag des fremden Ritters zu erkennen, die über die stupide Forderung nach Regeltreue der Meisterriege hinausgeht. Klug erkennt der Schuster Hans Sachs die niederen Motive seiner Kollegen, die jegliches Herausragen aus einem gesunden Mittelmaß mit Angst quittieren: „Dem Vogel, der heut sang, dem war der Schnabel hold gewachsen: macht er den Meistern bang, gar wohl gefiel er doch Hans Sachsen“.
Wagner verspürte das Bedürfnis, ein heiteres Gegenstück zu seinem 1845 uraufgeführten Tannhäuser zu schaffen, und erinnerte sich dabei an eine Komödie Johann Ludwig Deinhardsteins über den historischen Nürnberger Schuster und Poeten des 16. Jahrhunderts Hans Sachs, die er im Alter von 15 Jahren in Dresden gesehen hatte. Während eines Kuraufenthalts im böhmischen Marienbad brachte er erste Skizzen zu Papier. Weitere 15 Jahre sollte es allerdings dauern, bis er diese wieder zur Hand nahm. Als er erfuhr, dass seine Geliebte Mathilde Wesendonck erneut von ihrem Ehemann schwanger war, transzendierte er diesen Schicksalsschlag und schuf sich mit dem Schuster und Meistersinger Hans Sachs ein Alter Ego, das aus noblen Gründen seiner Liebe zur Opernfigur Eva entsagt.
Diese, Tochter des Goldschmieds Veit Pogner, soll – so das Libretto – mit demjenigen Meistersinger verheiratet werden, der beim alljährlichen Wettbewerb den ersten Preis gewinnt. Als Alternative bleibt ihr nur die lebenslange Ehelosigkeit. Kurz vor dem Sängerwettstreit hat sie sich Hals über Kopf in den jungen Ritter Walther von Stolzing verliebt, der zwar Fantasie und Talent besitzt, aber mit den praktizierten Regeln des Meistergesangs nicht vertraut ist. Als er „versungen“ hat, will er mit Eva fliehen, was der Schuster zu verhindern weiß. Die Johannisnacht endet in einer Massenschlägerei, und dem klugen Beobachter Sachs gelingt es, den Wettbewerb so zu manipulieren, dass sich der Junggeselle und Anwärter auf die Hand Evas, Sixtus Beckmesser, der auch über die Einhaltung der Gesangsregeln wacht, vor aller Augen lächerlich macht und Stolzing den Sieg davonträgt.
Eine komische Oper zu schreiben, verliert Wagner beim Komponieren zunehmend aus den Augen und betitelt das fertige Werk, das in seiner Breitendimension jedes vernünftige und klassische Maß überschreitet und eine Liebesgeschichte geschickt mit einem kunstrevolutionären Diskurs verbindet, nunmehr einfach als „Oper in drei Akten“. Erhalten bleibt ihre Grundanlage, die mit der Figur Beckmessers und dem ungleichen Buffo-Paar David und Magdalene nur noch einige wenige typische Merkmale einer Opera buffa aufweist. Das Ergebnis ist ein unterhaltsames, auch sperriges und geistreiches Experiment, das musikalisch an historische Formen und Satztypen anknüpft. Die progressive, chromatische Harmonik, die der Komponist noch im unmittelbar vorausgehenden Tristan zu einer neuen Blüte getrieben hatte, wird hier wieder zugunsten der Diatonik zurückgedrängt. Durch Rückgriff auf bekannte musikalische Formen wie Monologe, Lieder, Ensemblesätze, Chöre, Choräle, Tänze und große Finali am Ende jeden Aktes verleiht Wagner seinen Meistersingern bewusst archaisierende Züge, ohne gleichzeitig auf musikalische Neuerungen wie z.B. die hochkomplexe Prügelfuge zu verzichten und das Leitmotivsystem zu einem Höhepunkt zu führen. Das Ergebnis ist ein schwer einzuordnendes, dennoch faszinierendes Stück Musiktheater, „eine der interessantesten musikalischen Abnormitäten“, dem der Autor Thomas Mann mit „enthusiastischer Ambivalenz“ begegnet. Wie bei anderen Meisterwerken der Oper gerieten auch die Meistersinger in die Mühlen der faszinierten und gleichzeitig überforderten Menschheit, erfuhren einen Substanzverlust durch zahlreiche, auch musikalische Eingriffe, verschmolzen mit einer Aufführungstradition, die die Figuren immer eindimensionaler und karikaturenhafter in ein butzenscheibenseliges Nürnberg einbettete und das Mittelalterliche zur wilhelminischen Stimmungskulisse mit Nationalcharakter erhob. Ein Werk, das solche Zuwendung erfährt, muss zweifelsohne faszinieren, Rätsel in sich bergen und Qualitäten besitzen, die die fortdauernde und lebendige Auseinandersetzung mit ihm nicht enden lassen.