Das heißt, du hast – anders als Tom – auch keinerlei Gewalterfahrungen gemacht? Gewalt kann ja auch verbal ausgeübt werden.
Ich hab ja Fußball gespielt und war offiziell geoutet. Und natürlich ging das in Tirol dann auch rum, dass der Klausner, der Stürmer von der zweiten B-Mannschaft vom SV Matrei, schwul ist. Natürlich kam dann da mal: „Schau, die schwule Sau.“ Aber dann hab ich fünf Tore geschossen, bin rausgerannt und hab geschrien: „Schaut, die schwule Sau hat fünf Tore geschossen.“ Und damit war das Thema erledigt. Aber trotzdem kann ich nachempfinden, wie es in dem Stück ist. Also, wenn man da hinkommt, aufs Land, auf diese Familie trifft, die nichts davon weiß, dass der Sohn schwul war und ich sein Lebensgefährte bin, die auch noch gar nicht so weit ist. Man hat ja auch Respekt vor dem Leben, wie sie es leben und will da nicht so reinpreschen. Toms Hauptziel ist ja auch erst mal, sich zu verabschieden vom Freund und die Familie kennenzulernen. Und dann wird er eh gleich genötigt vom Francis.
Dieser Bruder verlangt von Tom, ein Lügengebilde aufrecht zu erhalten und wird von ihm in eine Gewaltspirale hineingerissen. Als Zuschauer:in fragt man sich da: Warum haut er nicht so schnell wie möglich wieder ab?
Seine Liebe ist halt weg und da auf dem Land ist der Mensch noch da, bei der Familie, auch wenn der Mensch schon verstorben ist. Man sieht die Mutter, man sieht die Ähnlichkeiten, den Bruder, sein Zimmer, da liegen noch Sachen von ihm. Das ist ja sicher auch ein gewisser Trost, in deren Gegenwart zu sein, wo der geliebte Mensch noch anwesend ist. Und es beantwortet ihm vielleicht auch Fragen, die er sich in ihrer Beziehung gestellt hat. Woher kam die Angst, die er hatte? Man merkt ja auch, wie der Bruder ist, diese Unterdrückung. Und dieser Lügenstrudel, wenn du da mal drin bist, dann kommt das nächste, das nächste. Da ist es dann schwer herauszukommen.
Sind dir so brutale Typen wie Francis mal begegnet?
Ja ja, die kenn ich schon. Vor denen hatte man auch immer Angst. Das waren auch so Typen, die selber immer unterdrückt worden sind von Zuhause, von den Eltern, den Vätern vor allem, das waren so Burschen vom Hof. Aber es sind ja doch nur die eigenen Ängste, die sie mit ihrem Verhalten kompensieren. Ich glaube aber, so von wegen Enge der Provinz, dass dir sowas in der Stadt genauso passieren kann. Wenn Leute einfach unzufrieden sind im Leben, kann es schon passieren, dass sie grob werden – egal, wo sie leben. Die eigene Unzufriedenheit, der eigene Frust lassen einen lieber gegen die anderen schießen, als sich mit dem Eigenen zu befassen.
Man muss sich ja auch fragen, wie viel Verdrängtes da im Bruder verborgen ist: verleugnete Emotionen, die eigene Sexualität zum Beispiel. So dass er lieber drauf einprügelt, als sich damit auseinanderzusetzen.
Ich weiß auch noch nicht so genau, warum Tom ihn dann so anziehend findet. Darum wird es gehen, das in den Proben herauszufinden. Warum es da so knistert zwischen denen, obwohl der eine den anderen so unterdrückt. Was ist da Anziehendes dran?
Apropos Proben: Tom auf dem Lande ist deine dritte Produktion mit der Regisseurin Sara Ostertag. Was ist für dich das Besondere an ihren Arbeiten?
Sara hat in ihren Inszenierungen immer irgendwie Heimat transportiert, so Österreich. Bei Totenwacht oder Geierwally zum Beispiel, diese Familienthemen in der Provinz – das kann die Sara einfach super.
Was ist denn Heimat oder Herkunft bei Sara?
Sie trifft immer was Wurzeliges. Ich spüre da total die Wurzeln, das triggert mich richtig. Wie sie es mit Musik verbindet, das hat was Mythisches. Ich fühl mich da immer so, als wär ich daheim bei ihren Stücken. Ich spür das immer ganz anders bei ihr.
Weil’s sinnlicher ist. Und bildgewaltig. Ja. Und weil Sara ja auch selbst einen österreichischen Bezug hat. Sie versteht, wie man empfindet in der Herkunft. Sie ist fest verwurzelt in Österreich. Und das löst sie bei mir auch immer aus. Sie versteht, wie Menschen aus der Provinz denken oder empfinden, dass es irgendwie enger ist. Dass man Angst hat vor Weitblick, vor Größe, vor Veränderungen, dass sich jemand mal outet.
Sara ist ja der Coup gelungen, den Musiker Ariel Oehl als Live-Act für die Inszenierung zu gewinnen. Deine Meinung dazu?
Das war für mich wirklich ein Highlight! Erstens macht er gute Musik. Zweitens macht er aber auch sehr sinnliche Musik. Also eigentlich alles, was wir damit transportieren wollen. Ich wusste sofort, dass das ein Match ist. Seine Lieder, Wolken zum Beispiel, die haben sowas leicht Melancholisches, Bildriges. Ich hab schon ein paar seiner Vorschläge fürs Stück gehört – mega! Was mich aber auch daran freut ist, weil Linz auch eine super Musikstadt und die Musikszene groß ist, dass wir damit wirklich Theater für alle machen können. Dass man junge Leute reinzieht, aber auch unseren Abonnent:innen das Thema zeigen kann, was mir wichtig war: Homosexualität. Das wird mit Ariel hoffentlich eine größere Breite kriegen.