„Es ist wichtig, dass man ehrlich ist“

Am 1. Februar feiert The Broken Circle in der Inszenierung von Sara Ostertag Premiere in den Kammerspielen.

PremierenfieberTheBrokenCircle

Die diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin Gerda Grieshofer leitet die Pflege in der Kinder- und Jugendonkologie des Kepler Universitätsklinikums Linz. Anlässlich der Schauspielproduktion The Broken Circle, in der ein Paar um das Leben seiner krebskranken Tochter ringt, gibt Gerda Grieshofer Einblicke in ihren Berufsalltag.

Frau Grieshofer, seit wie vielen Jahren arbeiten Sie in dem Beruf?

Seit 1987. In meinem letzten Ausbildungsjahr bin ich da ins Praktikum auf die Kinderonkologie gekommen. Damals war dort ein Mädchen mit fünf Jahren mit Hirntumor, letal leider. Ich hatte die Aufgabe, mich um das Kind zu kümmern, weil die Eltern nur am Wochenende zu Besuch kommen konnten. Pflegekarenz gab es damals nicht. Das Mädchen und ich haben in dieser Zeit eine total schöne Beziehung aufgebaut. Dann habe ich einmal frei gehabt und kam wieder in den Dienst und das Mädchen war nicht mehr da. Das hat mir so weh getan. Nicht nur, dass sie verstorben ist, sondern auch, dass sie ohne mich verstorben ist. Ab dem Zeitpunkt habe ich gewusst, das ist meins. Ich wollte das Kind begleiten, einfach bis zum Schluss. Seitdem bin ich dabei. (lacht)

Und seitdem sind Sie hier am KUK?

Nein. Ich war 20 Jahre in Wien, im St. Anna Kinderspital, habe dort auch auf der Knochenmarktransplantationsstation gearbeitet und bin dann aus privaten Gründen 2006 wieder ins Haus zurück.

Was macht Kinder für Sie zu besonderen Patient:innen?

Sie sind fröhlich. Sie sind so hoffnungsvoll. Mit denen kann man so viel Spaß haben. Auch in diesen schwierigen Situationen. Und eins muss ich auch sagen: Kinder – gerade im onkologischen Bereich – überleben diese Erkrankungen einfach viel besser. Die Heilungsrate ist eine viel höhere als im Erwachsenenbereich. Und ich wollte das Kindliche, das Spielerische nicht verlieren.

Wie alt sind Ihre Patient:innen?

Von Geburt bis 18 Jahre, manchmal 19, 20 Jahre.

Gibt es altersspezifische Erkrankungen?

Ja, schon. Die Leukämien treten eher im Kindergarten- und Schulalter auf, im jugendlichen und jungen Erwachsenenalter eher die Tumorerkrankungen.

Was ist Ihre Herangehensweise bei neuen Patient:innen, oder auch bei den betroffenen Familien?

Wir haben eine gute psychologische Unterstützung von klinischen Psycholog:innen, die vor Ort sind. Und die holen wir dann für das Gespräch oder auch zum Abholen. Es ist ganz wichtig, dass einmal Ruhe einkehrt. Meistens ist es so, dass die Eltern einfach viele Fragen haben und nicht wissen, warum. „Wir kündigen jetzt den Beruf!“ Es bricht einfach ein ganzes Universum zusammen. Da holt man sie damit ab, indem man zeigt, dass es gute Therapiemöglichkeiten gibt, die man auch studienmäßig wirklich unterlegen kann.

Wie unterschiedlich gehen Kinder mit diesen Diagnosen um?

Also, alle Kinder unter sechs Jahren gehen sehr gut damit um. Denen ist es nur wichtig, dass Mama und Papa da sind und dass immer wer da ist, dem sie vertrauen. Teenager tun sich schwer, weil sie während der Behandlung nicht in die Schule gehen dürfen, weil man sie aus ihrem Sozialgefüge herausreißt. Während der Zeit der Chemotherapie ist das Immunsystem einfach so runtergefahren, dass sie große Massenaufläufe meiden müssen.

Gerda Grieshofer
Gerda Grieshofer | Foto: Philip Brunnader

Können die Schulkinder eigentlich trotzdem weiterhin lernen?

Ja, es gibt Schulen im Krankenhaus, wo die Jugendlichen oder Schulkinder altersentsprechend betreut werden. Wenn sie in Therapiepause und zu Hause sind, haben sie Hauslehrer:innen. Sie machen genauso ihre Tests und ihre Schularbeiten am Bett. Jugendliche haben jetzt die Möglichkeit, sich einen Avatar zu wünschen und am Unterricht teilzunehmen. Wir haben ein Mädchen, die genießt das total. Und ihre Klassenkamerad:innen tun das auch. Sie hat den Anschluss nie verloren. Und die ist jetzt ein Jahr in Therapie.

Wie sind die Behandlungsphasen strukturiert?

Wir haben drei Säulen. Die erste Säule ist die stationäre Säule, dann gibt es die Tagesklinik und den externen onkologischen Pflegedienst, der von der Kinderkrebshilfe finanziert wird, wo die Kinder extern visitiert werden. Je nach Therapie sind die Kinder durchschnittlich so 15 Tage am Stück da. Dann gehen sie wieder nach Hause, kommen zur Kontrolle herein oder der externe onkologische Pflegedienst fährt hinaus. Das sind Kolleg:innen aus unserem Team, die zu Hause Verbandswechsel, Blutabnahmen, kleine Chemotherapien machen. Für Kontrollen fahren sie teilweise auch in die Schule. Das Kind muss nicht einmal das Schulgebäude verlassen. Das ist ganz toll.

Und woher kam die Grundidee?

Ich kannte das vom St. Anna. Und es war mir ein totales Anliegen, dieses Projekt hier voranzutreiben. 2016 ist es mir dann gelungen. Ich habe große Unterstützung gehabt, damals vom ärztlichen Leiter der Onkologie, vom Primar und auch von den Stationsärzten. Die Kinderkrebshilfe war immer bereit, das zu machen. Die halten das für eine ganz tolle Geschichte – ist es auch. In Zukunft wird es viel wichtiger werden, dass man Kinder oder auch kranke Menschen draußen betreuen kann.

In ihrem vertrauten Umfeld.

Ja. Es ist auch so, dass es im Hintergrund nicht nur das kranke Kind gibt. Da gibt es oft auch ein Familiensystem mit weiteren kleinen Kindern, die irgendwie betreut werden müssen. Wenn die Eltern oder die Mutter – meistens die Mutter – mit dem kranken Kind da reinfährt, dann müssen die anderen irgendwo fremdbetreut werden oder zu einer Tante, Oma, Opa. Und das fällt alles weg.

Was ist Ihr Hauptanliegen bei der Betreuung der Patient:innen?

Es ist wichtig, dass man ehrlich ist. Du lügst die Kinder einmal an, du hast das Vertrauen verloren. Das fängt an damit, dass wir sagen: „Der Pieks tut jetzt weh, aber es ist dann vorbei.“ Oder manche Kinder fragen: „Was ist mit mir?“ Dann erklärt man ihnen, dass böse Zellen in ihrem Körper sind, altersentsprechend. Es gibt viele Eltern, die ihre Kinder schützen wollen, indem sie ihnen nicht sagen, was los ist. Das ist das Falscheste, was man machen kann.

Kinder können ja auch je nach Alter auf ihre ganz eigene Weise damit umgehen.

Ja, die entwickeln Resilienzen, dass sie das, was momentan da ist, annehmen können. Wichtig sind auch Perspektiven. Wenn zum Beispiel ein Kind oder ein Jugendlicher mit einer Diagnose kommt, wo man weiß, das wird sich nicht ausgehen, sagt man trotzdem, was man noch hat. Man würde dem Kind nicht von Anfang an die Hoffnung nehmen, aber auch sagen, dass es sehr wenig Therapien gibt dafür, die man aber gut ausprobieren kann.

Haben Sie da so etwas wie eine Supervision für sich und Ihr Team?

Ja, wir haben aber auch Rituale, gerade wenn ein Kind oder ein Jugendlicher verstirbt. Wir setzen uns zusammen und halten inne. Wir reden über den Patienten, lassen nochmal alles Revue passieren. Wir hängen eine Laterne auf. Wir hängen einen Spruch auf. Wir stellen eine Figur auf. Und wir reden viel. Da hole ich mir die Reinigungskraft genauso. Oder die Abteilungshelfer:innen. Das ist mir ganz wichtig, weil die lange untergegangen sind

Gerda Grieshofer
Gerda Grieshofer | Foto: Philip Brunnader

Es gibt in unserem Stück The Broken Circle eine Passage, in der die Familie beschreibt, wie sie versuchen, trotz allem an jedem Tag irgendetwas Schönes vorkommen zu lassen.

Wir hatten jetzt einen Vater, der das auch immer gemacht hat. Der war hauptsächlich mit seiner Tochter da bei uns im Krankenhaus, weil die Mutter einfach den besseren Job hatte. Er hat mit seiner Tochter in diesen eineinhalb Jahren eigentlich immer wieder was gesucht, so Inseln, so Nischen. Raus aus dem Krankenhaus, wo man wieder einmal Chemo gekriegt hat, mit Übelkeit und Erbrechen und was halt dazugehört. Und wieder zu Hause was Schönes. Unter Leute durften sie nicht, aber sie waren zum Beispiel einmal im Frühling auf der Suche nach den Gänseblümchen.

Gibt es etwas in der öffentlichen Wahrnehmung, das Sie gern korrigieren würden?

Ich hätte gern, dass den Leuten klar wird, dass diesen Patient:innen auch zu helfen ist. Die wenigsten sterben, die meisten kommen durch. Es werden überhaupt generell von den Kindern, die hier in Österreich leben, die wenigsten einmal krank, krebskrank. Und von diesen, die krank werden, überleben die meisten und haben keine Spätschäden. Auf der anderen Seite: Was – vielleicht an die Politik gerichtet – wichtig wäre und auch schon ganz lang gilt, dass es endlich einmal ein Kinderpalliativ gibt. Gibt es nicht. Und es gibt einfach auch Kinder, die das nicht schaffen. Die bräuchten einfach eine Institution oder einen Raum, wo sie versterben oder begleitet werden können.

Welche Möglichkeiten haben denn die Eltern eines sterbenden Kindes überhaupt?

Wenn die Eltern, die sich das nicht zutrauen, dass sie ihr Kind zu Hause begleiten, Sterbebegleitung machen, können sie jederzeit zu uns kommen. Da ist immer Platz. Aber natürlich ist das so konträr. In Zimmer 10 lebt die Hoffnung. In Zimmer 9 ist gerade der Sterbe-prozess im Gange. Das gehört, glaube ich, ein bisschen getrennt. Und da wäre ich schon froh, dass wir eine Kinderpalliativstation kriegen. Im Neubau ist eine geplant, das weiß ich schon, aber in Österreich gibt es das nicht.

In ganz Österreich?

Ich glaube, jetzt haben sie in Wien im Haus der Barmherzigkeit ein Kinderpalliativ, aber die gibt es noch nicht lang. Aber da sieht man einfach: Kinder dürfen nicht sterben. Sonst würde es schon ein Kinderpalliativ geben. In der Bevölkerung ist das genauso wenig verbreitet. Kinder können nicht sterben. Sie dürfen nicht sterben.

Hat sich im Laufe der Zeit Ihr Verhältnis zum Leben und zum Sterben verändert?

Vielleicht wird man ein bisschen demütiger. Dass Zeit einfach begrenzt ist. Ich lasse sie nicht so vergehen. Wenn nach dem Essen der Abwasch dasteht, aber draußen ist es so schön, dann sage ich: Gehen wir bitte raus! Weil der Abwasch am Abend auch noch da steht, wenn es finster ist. Machen wir doch das, was uns Spaß macht.

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