Christine arbeitet im Jungen Theater und betreut Sprechtheater-Inszenierungen, die sich vor allem an Menschen richten, die oft deutlich jünger sind als sie selbst. Martin arbeitet in der Oper, sein Publikum ist oft, aber nicht immer, älter als er. Beide finden Tanztheater faszinierend, haben aber – wenn man es mal nüchtern betrachtet – nicht ausreichend Expertise, um selbstbewusst darüber etwas Kluges zu schreiben. Doch im Prinzip wäre das nun die Gelegenheit: Schreibt etwas über ein spartenübergreifendes Projekt aus Sprechtheater, Oper und Tanz für junges und jung gebliebenes Publikum. Und den digitalen Rahmen dazu. Es geht um Liebe. Und Theater. Also: Toi Toi Toi!
Wie bringt man drei Sparten auf eine Bühne? Erstmal macht das das Künstlerische Betriebsbüro. Die Mitarbeiter:innen und das Produktionsteam versuchen, zwischen den Vorstellungen der jeweiligen Sparten sinnvoll einen Probenplan in einer Probezeit von etwa sechs Wochen zu disponieren. Wer meint, das kann doch sicher nicht so schwer sein, unterschätzt entweder die Aufgabe oder löst in seiner oder ihrer Freizeit zur Erholung Probleme der Quantenmechanik. Hier lauert die Herausforderung, allein zeitlich die Mitglieder des Oberösterreichischen Opernstudios, des Jungen Theaters und von TANZ LINZ unter einen Hut (bzw. auf eine Bühne) zu kriegen. Und dazu kommt quasi noch die vierte, digitale Sparte, in deren Rahmen (dem EU-Projekt PlayOn! sei Dank) wir ein weiteres spannendes digitales Format erfinden. Das können wir aber zum Glück größtenteils unabhängig von den Proben weiterentwickeln.
Auf der Bühne spielen die drei Sparten zusammen First Love – Ein Sommernachtstraum. Wir hätten es uns ja einfach machen und die Sänger:innen singen, die Tänzer:innen tanzen und die Schauspieler:innen schauspielen lassen können. Aber das wäre ja keine Herausforderung – und wie wir schon geschrieben haben, Herausforderungen verbinden! Und warum sollten wir ein spartenübergreifendes Stück machen, ohne uns miteinander zu verbinden? Alle sollen singen, tanzen und schauspielen.
Dafür eignet sich der Sommernachtstraum hervorragend. Denn eigentlich sieht man schon zu Beginn des Stücks, wer eigentlich mit wem klassischerweise ein Pärchen bildet. Nur wird das während des Stücks alles einmal querbeet durchmischt, aufgebrochen, hinterfragt – und was nicht passt, wird per Magie passend gemacht (etwa so wie der Probenplan).
Shakespeares Komödie erzählt von mehreren Pärchen in unterschiedlichen Aggregatszuständen: Hermia und Lysander lieben sich und wollen heiraten, Hermias Vater will aber, dass sie Demetrius heiratet, der ursprünglich mit ihrer Freundin Helena angebandelt hat, aber nun sehr um Hermia wirbt. Helena ist untröstlich und immer noch sehr in Demetrius verliebt. Das derzeit noch glückliche Pärchen will miteinander durchbrennen und flieht in einer Sommernacht in einen Wald, das unglückliche Pärchen hinterher. Dummerweise geraten sie so mitten in den Ehestreit von Titania und Oberon, Königin und König der Elfen, wie auch eine Laienspieltruppe von Handwerkern. Oberon und sein Diener Puck richten in dieser Zufallsgemeinschaft mit dem Liebestranksaft einer Blume großes emotionales Chaos an. Dass nebenher völlig unbehelligt noch eine weitere Hochzeit in der Stadt geplant ist, ist nur die Rahmenhandlung des ganzen Bällebads der Gefühle.
Da Shakespeare aber nicht oberösterreichische Jugendliche ab dreizehn Jahren als Publikum intendiert hatte und daher nicht mehr so „fresh“ ist (sagt man das noch? Das ist sicher cringe. Sagt man noch „cringe?“) haben Martin Philipp und Nele Neitzke das Stück, die Themen und die Figuren in ein heutigeres Setting übersetzt, das schon durch Teenagerkomödien und -serien jeder Generation von neuem vertraut ist: anstatt zu heiraten wird nun nachgesessen.
Das Nachsitzen als Trope hat die Idee inhärent, dass Menschen – Jugendliche – die eigentlich nichts miteinander zu tun haben und sich meistens in eigenen oder sogar gegeneinander konkurrierenden Cliquen, Peer Groups oder Gangs organisieren, plötzlich zusammen Zeit verbringen müssen. Ähnlich wie wir – wenn man Cliquen durch Sparten ersetzt. Nur, dass wir uns alle schon sehr darauf freuen, die anderen bei der Probenarbeit kennenzulernen, uns voneinander inspirieren zu lassen und Erzählformen anderer Sparten auszutesten. Dass Martin Philipp das Ganze orchestrieren will (die Band, die auch noch mit dabei ist, hält Marc Reibel musikalisch und auch strukturell in seinen fähigen Händen) scheint etwas wahnsinnig. Wahrscheinlich fand jemand aber auch die Idee der vier – oder fünf, wenn man den in einen Esel verwandelten Handwerker, der kurzzeitig das Liebesobjekt der Titania wird, mitzählt – miteinander verwobenen Pärchen im und um den Wald wahnsinnig, was Shakespeare allerdings nicht aufgehalten hat.
Um das Ganze noch etwas wahnsinniger zu gestalten, haben Marc Reibel und Martin Philipp sich für die Music von Henry Purcell entschieden. Der Barockkomponist ist kein direkter Zeitgenosse Shakespeares, aber er hat eine Oper geschrieben, die auf Shakespeares Sommernachtstraum basiert. Es werden also auch Ausschnitte aus The Fairy Queen und anderen Opern aus Purcells Feder zu hören sein. Allerdings ist Purcell noch weniger ein Zeitgenosse von uns, also auch nicht ganz „fresh“ und daher soll die Musik ins Heute transportiert werden. Das wird die Herausforderung für Marc Reibel mit seinen Arrangements.
Es gibt also viel zu tun und eine Menge Fragen zu beantworten. Während des Entwerfens dieses Artikels ist es unter anderem auch die Frage, ob man Internetempfang hat (um direkt ein paar Fakten nachzuprüfen). Was für uns und diese Produktion tatsächlich eine wiederkehrende und relevante Frage sein wird – so-bald das digitale Format dazu kommt, das das Stück rahmen soll, als unsere letzte PlayOn! Produktion – die europäische Projektkooperation, in der wir untersuchen, wie man Digitalität, Immersive Technologie und Gaming in theatrale Kontexte einbauen kann. Daher beschäftigen wir uns neben Shakespeare, Sparten, Purcell und Probenplänen auch mit Augmented Reality, Uploadgrößen, Avataranimationen und Storylines. Zum Glück nicht allein, denn auch da haben wir Menschen, die uns mit ihrem Expertenwissen zur Seite stehen. Schließlich wollen wir die Zuschauer:innen vor (oder auch nach) der Vorstellung in das Dickicht der Linzer Innenstadt schicken, die sich auf magische (aka digitale) Weise in Räume aus dem Theaterinneren verwandelt. Denn das Theater ist viel größer als nur seine Bühne und seine Sparten und ohne all die Menschen und Abteilungen, die hinter der Bühne arbeiten, könnten wir euch auf der Bühne nicht verzaubern.
Und nichts weniger ist unser Ziel mit dieser Produktion. Es ist eine Herausforderung. Aber Herausforderungen verbinden. Und im schönsten Fall verbinden sie uns auch mit unserem Publikum.

