Und die Realität sieht doch häufig anders aus: Nicht nur, dass es schwierig sein kann, Eltern zu sein, auch Kinder und Jugendliche finden sich (nicht nur in unserer Gegenwart) oft genug in komplexen, anspruchsvollen, aber auch in gefährlichen oder prekären Umständen. Gerade in diesen Augenblicken sollte die Existenz von Kinderrechten – von grundlegenden Menschenrechten einmal ganz abgesehen – mehr sein als nur ein Versprechen. Denn das „bei Entscheidungen, die Kinder betreffen, das Wohl des Kindes ein vorrangiges Kriterium sein muss“ ist ein ausgesprochen starkes Statement. Stellt sich allerdings die Frage, was das in der Realität bedeutet – so wie mit jedem Recht, kommt es einerseits auf eine gesellschaftliche Akzeptanz und andererseits auf die Durchsetzung an. Da sich aber auch das Verständnis über die Rolle, die Kinder gesellschaftlich, aber auch in Familien einnehmen, in den letzten gut 200 Jahren immens verändert hat, hat sich gleichermaßen auch der tatsächliche Status von Kindern familiär und gesellschaftlich verändert. Kinder nicht nur als Miniaturausgaben von Erwachsenen zu verstehen und auch nicht als bloßes „Eigentum“ von Eltern (insbesondere Vätern), über deren Zukunft entschieden werden kann, ohne dass diejenigen, über die gesprochen und gedacht wird, ein Mitspracherecht gehabt hätten, ist eine recht neue Erfindung. Umso wichtiger, dass aus dieser Veränderung auch Konsequenzen erwachsen, zu denen definitiv auch die Manifestation von Kinderrechten gehört.
Entstanden sind die Kinderrechte in ihrer heutigen Form als Reaktion von Erwachsenen auf die katastrophalen Zustände, die Europa nach dem Ersten Weltkrieg zeichneten. Insbesondere Kinder waren häufig auf der Flucht, ohne Schutz und oft auch ohne Begleitung durch Erwachsene. In Deutschland und Österreich herrschte nach dem Ende des Krieges 1918 eine Hungersnot, die besonders intensiv Kinder betraf, was zunächst die Engländerin Eglantyne Jebb dazu bewegte, die Organisation Save the children ins Leben zu rufen und schließlich für die Durchsetzung der UN-Kinderrechtskonvention zu kämpfen (womit sie auch Erfolg haben sollte).
In Helmut Jasbars musikalischer Geschichte sehen die Kinder keine andere Möglichkeit mehr, als ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, egal wie groß die Gefahren sind, die ihnen auf ihrem Weg begegnen. Dabei wird allerdings schnell klar, dass es eben nicht nur um eine Gegenwart geht, also nicht nur um die Kinder, die sich selbst in die Verantwortung nehmen, sondern auch um Wohlergehen und Zukunft der Erwachsenen. Wer beschützt wen? Wer tritt für wessen Bedürfnisse ein? Die Welt mag aus dem Tritt gekommen sein in Unsere Kinder der Nacht, aber die Resilienz der Kinder wird zur Triebfeder einer Geschichte, die nicht nur von Hoffnung erzählt, sondern vor allem auch die Verantwortung aller Menschen füreinander in den Mittelpunkt stellt. In einer Gegenwart mit multiplen Krisen scheinen insbesondere die Rechte von Kindern und Jugendlichen immer wieder aus dem Fokus zu geraten. Diejenigen, die in der Lage sind, sich selbst zu bestärken, organisieren sich in Protestbewegungen wie etwa Fridays for Future und zugleich steigt die Zahl derjenigen Kinder, die Krisen und gewalttätigen Konflikten zunehmend schutzlos ausgesetzt sind. Schutzbedürftige Kinder nicht sich selbst zu überlassen, ist nicht nur die große Parallele zu den Krisen, die Eglantyne Jebb erlebt hat und die sie zur Aktivistin für Kinderrechte machten, sondern auch die pointierte Botschaft in Helmut Jasbars Musiktheaterwerk.