Das Singen ist nur ein Teil dessen, was eine Opernsängerin leisten muss. Welche Bedeutung hat für dich das Spielen?
Es ist wichtig, dass ich in diesem Bereich, bei der Erarbeitung meiner Figur, gefordert und unterstützt werde. Als ich zum Beispiel das erste Mal die Tosca gesungen habe, hatte ich nur die flachen Bilder und Vorstellungen einer traditionellen Aufführung im Kopf. Der Regisseur sagte mir dann: „Nein, das ist nicht Tosca: Tosca steht kurz vor dem Burnout, sie ist nervös, schluckt Pillen, weil sie unter einem enormen Druck steht, sie ist leicht hysterisch – nein, ich brauche mehr von dir!“ und es hat enormen Spaß gemacht, diese Figur in all ihren Dimensionen zu entdecken und zu spielen!
Paul, die männliche Hauptpartie in Korngolds Die tote Stadt, trauert um seine verstorbene Ehefrau. Als er der Tänzerin Marietta begegnet, die ihm wie eine Doppelgängerin der Toten erscheint, will er sie ganz zu ihrem Ebenbild machen. Wie näherst du dich der Partie der Marietta?
Wenn sie das erste Mal auftritt, erinnert sie mich an mich selbst als 19-jährige Studentin. Sie ist voller Energie und Aufbruch und fasziniert von all den Möglichkeiten, die das Leben bietet. Die Begegnung mit ihr wird in unserer Inszenierung für Paul zum Anlass, in Marietta immer mehr seine tote Frau Marie zu sehen. Er kombiniert die beiden Frauen zu einem Phantom, einer Projektion seines Hirns. Damit ändert sich im 2. und 3. Bild auch ihr Charakter. Marietta wird ganz zu einer fixen Idee Pauls. Er erschafft sich eine Person nach seinen eigenen Bedürfnissen. Meine Figur wird somit von einer realen zu einer Projektion seiner Lebens- erfahrung.
Welche Hinweise gibt denn Korngold in der Musik auf den Charakter von Marietta?
Im ersten Akt beginnt sie spontan zu tanzen. Sie ist eine idealistische Träumerin: „Hier bin ich, das bin ich und das tue ich.“ – und Paul ist einfach hingerissen von ihr und versteht gar nicht richtig, was ihm widerfährt. In seiner Fantasie, in seinen Träumen verformt er sie dann zu seinem Ideal, nähert sie dem Bild seiner Frau an. Diese Traumsequenzen sind in der Musik deutlich hörbar und so orchestriert, dass es klingt, als wäre es weit weg, wie von einem anderen Planeten.
Der 23-jährige Korngold scheint die hungrige Maßlosigkeit eines jungen Menschen besessen zu haben. Beide Partien, Paul und Marietta, stellen hohe Ansprüche an die interpretierenden Sänger:innen.
Ich habe so eine Partie bisher noch nicht gesungen: In der Führung der Melodie orientiert sich Korngold stark an der gesprochenen Sprache. Der Sänger des Paul, Andreas Hermann, und ich müssen über weite Strecken in einer sehr unbequemen Lage, im Passaggio- Bereich, dem Übergangsbereich zwischen den Stimmregistern singen. Dieser ist leicht nach oben und unten zu durchqueren, aber sich permanent dort aufzuhalten ist mörderisch.
Worauf darf sich das Publikum bei dieser Oper freuen, was ist das Spannende an der Toten Stadt?
Diese Oper ist ein faszinierender Albtraum. Für mich ein Opern Psycho-Thriller – und ich mag das sehr! Als ich angefangen habe, meine Partie und das Stück zu lernen, habe ich mir in meinem Kopf eigene Bilder gemacht und ich stellte mir Kostüme im Stil des Steampunk vor, dunkel, gothic, eine düstere Geschichte. Es gibt viele Parallelen zu Hitchcocks Vertigo und die Musik geht atmosphärisch in Richtung The Turn of the Screw: Mysteriös, dunkel, aber auch voller Leidenschaft – ein Psychothriller! Es wird ein spannender Abend!
Gibt es „Traumpartien“, auf die du hinarbeitest oder die du dir wünschst, eines Tages singen zu können?
Ja, das Belcanto-Repertoire reizt mich sehr. Norma – das würde ich lieben und Elvira in I Puritani, oder Amina aus Bellinis La Sonnambula.
Inwiefern hat die Covid-19-Epidemie dein Leben als Künstlerin verändert?
Für mich hat diese Zeit tatsächlich ein paar Dinge verändert: Zum Besseren, muss ich gestehen, das klingt schrecklich. Kurz vor dem Ausbruch der Pandemie hatte ich mein Vorsingen in Linz und wurde angenommen. Andernfalls hätte ich in dieser Zeit kein Auskommen gehabt, da ich vorher immer selbständig war und von der Hand in den Mund gelebt habe. Wie so oft im Leben, spielt es eine große Rolle, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.