Aber keine zehn Jahre danach sitzen sie im Gästezimmer von Bricks Elternhaus, Brick kann nicht aufhören zu trinken und bearbeitet, bekniet seine Frau Maggie, ihn zu verlassen oder sich wenigstens einen Liebhaber zu nehmen, jedenfalls in ihrem Leben nicht weiter auf ihn zu bauen, denn er will nur noch eins: Den Schmerz im Alkohol ertränken, trinken bis es Klick in seinem Kopf macht. Aber Maggie denkt gar nicht daran, sie hat beschlossen, um Bricks Zuneigung, aber auch um sein Leben zu kämpfen, sie will wieder von ihm geliebt werden, auch wenn unklar scheint, woher die Liebe in ihrer erkalteten Beziehung wieder kommen soll. Merkwürdigerweise vergleicht sie ihren Kampf mit dem einer Katze, die versucht, auf einem heißen Blechdach auszuharren, statt herunterzuspringen. Und was im ersten Augenblick wie ein intimes Kammerspiel für zwei Personen aussieht, weitet sich. Es geht nicht nur um die Liebe zwischen Brick und Maggie, sondern um das Erbe der Familie Pollitt, deren Prinzipal, genannt Big Daddy, demnächst sterben muss, weshalb die Erben sich zu seinem 65. Geburtstag in seinem Haus versammeln, irgendwo im Mississippi-Delta in den Südstaaten der USA. Big Daddy muss bestimmen, welcher seiner Söhne den Familienbetrieb, die Baumwollindustrie, und damit die Herrschaft über die Familie und das Geld übernimmt. Und so unvorstellbar es in Anbetracht seiner körperlichen Verfassung wirkt, dass Brick dieser nächste Prinzipal wird, so ist er doch Big Daddys Lieblingssohn, während der andere, Gooper, seinem Vater ein Graus ist. Seine Schwiegertöchter Mae und Maggie liefern sich einen familiären Kleinkrieg, und Big Daddy weiß gar nicht, wie ihm geschieht. Denn während alle anderen wissen, was gespielt wird, wird die ärztliche Diagnose dem Patienten – bis nach seiner Geburtstagsfeier – verheimlicht. Groteskerweise bleibt es seinem alkoholisierten Lieblingssohn vorbehalten, ihm die Todesnachricht zu überbringen, aber eigentlich ist das klärende Gespräch zwischen Sohn und Vater in einer Gewitternacht, als emotionaler Ringkampf, ein verklausulierter Vatermord: Brick muss dem Alten, der so lebenshungrig wie er selber lebensmüde ist, klar machen, dass sein Leben zu Ende ist.
Es gibt im Angelsächsischen den Begriff des well made play, damit ist ein Stück gemeint, das ein interessantes, aktuelles Thema anschaulich und gut gebaut auf die Bühne bringt und das sein Publikum nach zwei Stunden ebenso informiert wie gut unterhalten wieder aus dem Theater entlässt. Das well made play gehört zu jenen Dingen, die das angelsächsische Theater – so die landläufige Meinung – dem kontinentaleuropäischen voraushat. Und die modernen Klassiker der englischsprachigen Dramatik – ob von G.B. Shaw oder von Arthur Miller – werden gemeinhin für solche well made plays gehalten. Die Katze auf dem heißen Blechdach ist kein solches Stück. Dafür wird zu viel geredet, die eigentliche Handlung kommt derweil gar nicht vom Fleck, und am Ende sind die Zuschauer auch nicht viel schlauer als zuvor. Weder hat Maggie, die Katze, ihren Kampf um Bricks Liebe entscheiden können, noch wurde ein Erbe der Baumwoll-Plantage erkoren, noch hat der Zuschauer erfahren, wo der Hund in der Beziehung zwischen Brick und seinem Vater eigentlich begraben liegt, sie reden drum herum, und nennen ihn doch nicht bei irgendeinem Namen.
Auch lassen die Verhältnisse, die Tennessee Williams schildert, sich nicht ohne Weiteres in Raum und Zeit versetzen: Zu genau ist die Beschreibung eines uramerikanischen Milieus im Mississippi-Delta, in den Südstaaten, unter ehemaligen Sklavenhaltern, die in den frühen Jahren des Wirtschaftswunders der 1950er vor Wohlstand strotzen. Die Idee, einem todkranken Patienten die Diagnose vorzuenthalten, dafür aber seine Kinder bereits zu verständigen, würde heute allen Vorschriften widersprechen. Dann ist keine der Figuren des Stücks zur Identifikationsfigur geeignet, Maggie in ihrer Verzweiflung zu gehässig, Brick im Alkoholrausch zu lethargisch.
Warum ist das Stück dann aber trotzdem einer der größten, am heißesten geliebten Klassiker der Moderne? Was finden spätere Generationen, weit entfernt vom Mississippi, immer noch und immer wieder in Maggies Kampf, Bricks Untergang und Big Daddys Abstieg in den Hades?
In einer Zeit, in der der American Way gerade anfängt, sich weltweit durchzusetzen, nachdem die USA (mit einigen anderen) einen Weltkrieg gewonnen haben, zu Beginn eines nie da gewesenen wirtschaftlichen Booms, zeigt Williams eine bittere Innenansicht von Reichtum, Chauvinismus, Heuchelei und Standesdünkel. Die Symbolfigur des Highschool-Traumpaars, die seither in ungezählten US-amerikanischen Dichtungen erscheint, hier erlebt sie ihre literarische, pop-kulturelle Geburtsstunde, von Anfang an in der Verfalls- und Abwesenheitsform: Brick und Maggie sind es einst gewesen, die schönste Frau, der beliebteste Mann unter den Schüler:innen. Beide sind es nun schon lange nicht mehr.
Keine 30, fühlen sie sich alt und trauern um die eigene Jugend. Schon hier, in den 1950ern, ist das Ideal von Jugend, Sport und Schönheit, Selbstkontrolle und Begabung, das unsere Populärkultur noch immer zutiefst prägt, Fluch, nicht Segen.
Jugendlichkeitswahn als Leitmotiv wird Williams, Autor von Stücken wie Baby Doll und Süßer Vogel Jugend, auch in seinem weiteren Werk nicht loslassen, aber schon hier, in Die Katze auf dem heißen Blechdach erkundet er die unterirdische Verbindung von Jugendkult und Todesangst, Todesangst und Lebensgier, Lebensgier und Unersättlichkeit. Der alte Vater, der nicht sterben kann, nicht loslassen, und sein Lieblingskind, das nicht leben will, sind durch eine Nabelschnur verbunden, durch die einer dem anderen die Lebensenergie aussaugt.
Das Dilemma des Unersättlichen, der sich alles kaufen könnte, nur Zeit und Liebe nicht, der nicht vorbereitet auf den Tod ist, der nur fühlen kann, dass er zu kurz kommt, ist die andere große Ikone amerikanischer Kultur, die Williams seinem Stück eingraviert hat. Der verzweifelte Hedonismus des verfressenen, lüsternen Big Daddy als Symbol einer Konsumkultur, die ihren Triumphzug um die Welt gerade erst antritt. Die Großkapitalisten in dem Stück, deren familiäre Wurzeln paradoxerweise in ein frommes protestantisches Milieu reichen, bringen die Widersprüche unseres Systems auch heute noch so treffend auf den Punkt wie wenige andere Charaktere der dramatischen Literatur.
Dass diese Konflikte, die hier als Familienkonflikte inszeniert werden, im Stück keine Lösung finden (höchstens – in der großen Aussprache zwischen Sohn und Vater – eine zeitweise Entladung), lässt Die Katze auf dem heißen Blechdach nur umso realistischer erscheinen. Williams sondiert Probleme, die die westliche Gesellschaft bis heute nicht gelöst hat. Als Familienkonflikte haben sie erst recht Ewigkeitscharakter. Und das Sprechen der Figuren darüber ist ein obsessives, insistierendes. Ihre Sprechtiraden sind ebenso verletzend, komisch, übergriffig wie die der Figuren Thomas Bernhards, und genauso originell und musikalisch ist der Text dieses, nicht als well made zu bezeichnenden, ewigen Abgesangs auf vergeudete Hoffnungen und verlorene Generationen.
Susanne Lietzow inszeniert Die Katze auf dem heißen Blechdach im Schauspielhaus des Landestheaters.