Aus dem Reich der Freiheit

David Bösch inszeniert Shakespeares Viel Lärm um nichts im Schauspielhaus.

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Zum fulminanten Beginn der neuen Spielzeit im Schauspiel gab es nicht nur bei unserem Theaterfest Viel Lärm um das Theater und die Liebe. Seit 14. September ist William Shakespeares Viel Lärm um nichts in der Inszenierung unseres neuen Schauspieldirektors David Bösch im Schauspielhaus zu erleben. Dramaturg Martin Mader gibt Einblicke in die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Tragödie und Komödie. Und wie beide in den Werken William Shakespeares nicht ohne einander auskommen.

Die Gattungsgeschichte von Komödie und Tragödie beginnt mit einem komödiantischen Merkmal: Am Anfang steht die Verwirrung. Die abgewertete Stellung der Komödie gegenüber der Tragödie führt nämlich auf Aristoteles zurück. In seiner bis heute einflussreichen Schrift Poetik werden die Grundlagen der Dichtungsgattungen beschrieben. Doch ausgerechnet der zweite Teil ist verschollen. Also jener Teil, in welchem die Komödie untersucht wird. Somit ist heute nur der erste Abschnitt über Epik und Tragödie erhalten, in dem er die Komödie tatsächlich abwertend kommentiert. So heißt es etwa: „Die Komödie ist eine Nachahmung von schlechteren Menschen, aber nicht im Hinblick auf jede Art von Schlechtigkeit, sondern nur insoweit, als das Lächerliche am Hässlichen teilhat“. Im Zuge der breiten Rezeption der aristotelischen Werke verfestigte sich in der Folge die Auffassung, dass der tragische Held und sein Kampf gegen das Schicksal die Spitze der künstlerischen Errungenschaft darstellen. Die Tragödie zeige den hohen Menschen – meist einen Mann. Und die Geschichte jenes hohen Menschen soll aufgrund seines tragisch-schockierenden Gehalts reinigend auf die Gefühlswelt (Aristoteles) wirken und sogar, wie Friedrich Schiller später festhalten wird, den Menschen moralisch erziehen. Und so denkt heute wohl jede:r bei berühmten, der Hochkultur angehörenden Theaterstücken an Tragödien wie Oedipus, Antigone, Hamlet, Faust oder Die Räuber, während die Komödie eher ein nachgeordnetes Dasein fristet. Sie wird mit der Unterhaltung dienendem Lustspiel, mit Kleinkunst, Volkskunst, Jahrmarkt, Karneval oder dem italienischen Stegreiftheater assoziiert.

Viel Lärm um nichts
Viel Lärm um nichts | Foto: Herwig Prammer

Doch handelt es sich bei dieser weit verbreiteten Auffassung nicht doch um ein großes Missverständnis? Vieles deutet darauf hin. Nicht zuletzt bei Aristoteles lassen sich Hinweise finden, die den befreienden und demokratischen Charakter der Komödie unterstreichen. In einigen Andeutungen hatte er etwa zu erkennen gegeben, dass die selbstbestimmte und freie Polis der Nährboden für die Komödie gewesen sei. Dies spiegelt sich auch in der Komödienstruktur wider, die, wie Friedrich Dürrenmatt schreibt, „Dichtung in ihrer demokratischen Form“ ist. Auch Friedrich Nietzsche erhebt seinerseits das lebensbejahende Gelächter über die bierernste moralische Botschaft. Denn steht am Ende der Tragödie stets der Tod, so am Ende der Komödie das Leben. Kommt in der Tragödie die Einsicht der Helden unausweichlich zu spät, ist es in der Komödie immer möglich, sich überzeugen zu lassen und die Perspektive zu ändern. Ist der Held der Tragödie ein:e Einzelkämpfer:in, bewegen sich die Protagonist:innen der Komödie eng eingebunden in der Gesellschaft. Zudem wird das Lachen in der Antike als etwas Göttliches verstanden. Das sogenannte „Homerische Gelächter“ ist wohl das bekannteste und älteste Zeugnis dafür, dass die göttliche Leichtigkeit über dem ernsten Erdentreiben steht und sogar friedenstiftend wirkt. Eindrücklich hält der deutsche Germanist Bernhard Greiner fest: In der Ilias ist der Streit auf Erden zwischen Achill und Agamemnon, der viele das Leben kosten wird, auch unter die Götter geraten. Zeus hat Thetis den Wunsch erfüllt, solange die Troer siegen zu lassen, bis dem Zorn des Achill Genüge getan ist. Hera, ihrerseits auf Seiten der Griechen, erkennt die Ungerechtigkeit und ihr Streit mit Zeus droht zu eskalieren wie jener der Griechen mit den Troern. Doch dann taucht der Gott Hephaistos auf und hält eine kluge Rede. Aber nicht die Rede überzeugt. Hephaistos hinkt und seine Erscheinung wirkt grotesk. Dies löst „unermessliches Lachen bei den seligen Göttern“ (Ilias) aus und der Streit, welcher auf Erden erbittert weitergeführt wird, ist unter den Göttern beigelegt.

Es ist also durchaus verwunderlich, dass Komödie und Tragödie nicht als zwei gleichberechtigte Seiten einer Medaille betrachtet wurden und werden. Umberto Eco hat einmal augenzwinkernd bemerkt, dass die Geschichte Europas leichter und fröhlicher ausgefallen wäre, würde der zweite Teil der aristotelischen Poetik noch existieren. Zudem würde man sowohl die Tragödie als auch die Komödie verfehlen, wenn man sie als streng geschieden voneinander denken würde. Denn die Tragödie kennt beschwingte und heitere Momente. Umgekehrt ist die Komödie auch nicht frei von ernsthaften Inhalten. Eindrucksvolle Beispiele lassen sich bei einem der größten Dichter der Literaturgeschichte ablesen. In William Shakespeare hat die Dramatik nämlich einen Autor gefunden, der nicht nur große Tragödien, sondern ebenso viele bedeutende Komödien geschrieben hat. Und insbesondere seine Komödien kommen nicht ohne leise, dunkle Fragezeichen aus, die seine Stücke – trotz des obligatorischen „Happy Ends“ – als ebenso ernstzunehmende Literatur ausweisen würden. Selbst ein Stück wie Viel Lärm um nichts, eines seiner heitersten Stücke, besticht durch einen erkennbaren Grad zwischen ernsthaftem Hintergrund und lustvollem Spiel, zwischen bösartiger Intrige und wohlwollendem Verwirrspiel sowie liebenswerten als auch destruktiven Tölpeln.

Viel Lärm um nichts | Foto: Herwig Prammer
Viel Lärm um nichts | Foto: Herwig Prammer

So beginnt das Stück vor dem Hintergrund eines menschlichen Abgrunds. Denn die Männer rund um Don Pedro – Claudio, Benedikt und Don Juan – kommen nach Messina und werden vom Oberhaupt Leonato zwar mit offenen Armen und mit anstehenden Festlichkeiten empfangen, aber die Männer sind kriegsgebeutelt. Bereits zu Beginn zeigt sich, dass der rauschende Festcharakter auf Tod und Elend gebaut ist. Der Krieg ist zwar vorbei. Aber es sollte nicht vergessen werden, dass er den Protagonisten noch in den Knochen steckt. Die Liebes- und Freudensehnsucht ist dadurch zwar eine besonders große, jedoch auch eine dunkle. Zudem gibt es nicht nur Kriegsgewinner unter den Männern. Es wird nicht explizit, doch es steht zu vermuten, dass Don Juan sich erst kürzlich mit seinem Bruder Don Pedro versöhnt hat. Es ist davon auszugehen, dass er zunächst auf der gegnerischen Seite gekämpft haben dürfte. Umso mehr wird verständlich, dass er das Glück anderer vereiteln will. Mittels Intrigen versucht er, die sich anbahnende Liebschaft zwischen Claudio und Hero zu verhindern. Dabei scheitert er zunächst. Seine Inszenierung einer vermeintlichen Affäre Heros ist jedoch erfolgreich und so platzt die Hochzeit zwischen den Liebenden und führt beinahe in die Katastrophe. Spiegelverkehrt verläuft hingegen die „gute Intrige“ bei Benedikt und Beatrice. Die beiden sind eigentlich als Streithähne bekannt. Doch außer ihnen hat jede:r erkannt, dass sie sich insgeheim lieben. Und so wird mit lustvollen Finten ihrer Liebe erfolgreich auf die Sprünge geholfen. All dies zeugt davon, dass der übermenschliche Schicksalscharakter der Tragödie suspendiert ist. Dem freien Willen der Protagonst:innen wird mehr Handlungsspielraum zugestanden. Zudem zeigt sich die Moral nicht als ewiges Gesetz, sondern wird aus der Gruppeheraus vollzogen und angepasst. Don Juan wird zunächst geglaubt, dann wird er zur Rechenschaft gezogen und die als falsch erkannten Vorwürfe gegen Hero werden revidiert. Nicht eine göttliche Instanz entscheidet, sondern die handelnden Personen selbst.

Dass die Komödie also nicht mit einer naiven wie heilen Welt gleichgesetzt werden kann, zeigen die Komödien von Shakespeare. Dies ist zudem ein zentrales Anliegen des neuen Schauspieldirektors David Bösch, welcher Viel Lärm um nichts als Eröffnungsstück seiner ersten Saison inszenieren wird. Ihm ist wichtig zu zeigen, dass es oftmals nur ein kleiner Schritt von der Komödie zur Tragödie ist. Eine kleine Verspätung und schon wird die ersehnte Rettung verpasst. Aus Spaß wird Ernst. Und über den Ernst kann manchmal nur der Spaß hinweghelfen. Ja, das eine bedingt das andere, beides berührt auf seine Weise. Und wo, wenn nicht im Theater, ist Platz für das Panorama menschlicher Gefühle? In Shakespeares Komödien klappt es jedenfalls am Ende dann doch mit dem Happy End. Man darf aber gespannt sein, ob sich jenes auch in der Linzer Inszenierung wiederfinden wird oder ob nicht auch hier die Grenzen verschwimmen. Doch so oder so, eines ist sicher: Es wird ein Fest.

Viel Lärm um nichts | Foto: Herwig Prammer
Viel Lärm um nichts | Foto: Herwig Prammer

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