Auf der Jagd nach Ideen

Mozarts Meisterwerk Die Zauberflöte im Musiktheater.

PremierenfieberDieZauberflöte

Meisterwerke jedweder Kunst lösen immer eine ganz spezielle Art der Bewunderung aus. Bei Mozarts großer Oper in zwei Akten Die Zauberflöte ist es nicht anders. Der westlich geprägte Musiktheaterkanon würde ohne sie als unvollständig angesehen werden. 233 Jahre nach ihrer Uraufführung zieht diese Oper immer noch ein breites Publikum in den Bann und ist für viele Menschen der erste Berührungspunkt mit dem Genre Oper.

Sie ist so populär, dass in den 1970er Jahren entschieden wurde, eine Arie daraus auf die „Voyager Golden Records“ zu pressen. Diese goldenen Datenplatten befinden sich auf den Voyager-Raumsonden und sind gerade dabei, unser Sonnensystem zu verlassen. Sollten also außerirdische Lebensformen existieren und in der Lage sein, die Platten abzuspielen, erhalten sie durch Die Zauberflöte einen Eindruck davon, was eine Oper ist. Mehr Wertschätzung, als dass man ein Kunstwerk quasi „intergalaktisch“ macht, ist eigentlich kaum möglich.

Oftmals bleibt es nicht nur bei der oberflächlichen Bewunderung eines Meisterwerkes. Es kann eine ungeheure Faszination ausüben und in Menschen eine unbändige Wissbegierde wecken. Bis ins kleinste Detail will man dann wissen, was dieses Kunstwerk ausmacht, was das Besondere daran ist, was es von all den anderen ähnlichen Kunstwerken abhebt – womit, in Bezug auf diese Kunstform, das Wesen der Musikwissenschaft beschrieben wäre. Die Zauberflöte wurde von ebendiesen wissbegierigen Menschen schon hinlänglich analysiert: die Figurenkonstellationen innerhalb der Oper, die Anwendung der Tonarten, die Instrumentierung, die unterschiedlichen Musikstile und ihre Bedeutung. Eine „Bruch-Theorie“, die vermeintliche Widersprüche im Libretto der Zauberflöte erklären soll, wurde formuliert und widerlegt. Symbole und Ideologien der Freimaurer wurden ebenso in der Oper identifiziert wie Nahverhältnisse zur damaligen Wiener Kasperl- und Zauberoper hergestellt.

Fenja Lukas, SeungJick Kim
Fenja Lukas, SeungJick Kim | Foto: Herwig Prammer

Von nicht geringem Interesse ist allerdings auch, wie ein Werk entstanden ist. Aber selten ist die Entstehung minutiös dokumentiert, die Gedankengänge und Einfälle so dargelegt, dass sie eine Außen- und Nachwelt verstehen können. Und hier liegt eigentlich die größte Faszination in der Beschäftigung mit einem Meisterwerk, oder der Kunst selbst. Man kann die Biografien der Schöpfer aufarbeiten, deren Lebensumstände, deren Werdegänge darlegen, sie in dem Umfeld, in dem sie wirkten sowie der Zeit und der Gesellschaft, in der sie lebten kontextualisieren. Aber woher deren Kreativität und Ideen kamen, das ist auch heute noch eine ungemein interessante Frage – ganz besonders bei einem Komponisten wie Wolfgang Amadé Mozart.

„KOMPONIERT IST SCHON ALLES, ABER GESCHRIEBEN NOCH NICHT …“

Dieses Zitat ist ein schönes Beispiel dafür, wie man etwas aus seinem Zusammenhang reißt, um es mit einer anderen Bedeutung aufzuladen. Mozart, das war doch der Komponist, der alles im Kopf komponieren konnte und deswegen nie am Klavier saß, um etwas niederzuschreiben. Miloš Forman hat diesen Mythos – wie viele andere auch – in seinem Film Amadeus verfestigt: In einer Szene ist Mozart über einen Billardtisch in seiner Wohnung gebeugt und schreibt konzentriert auf einem Notenpapier. Gelegentlich rollt er eine Billardkugel über den Tisch. Man hört das Finale der Oper Le nozze di Figaro (Die Hochzeit des Figaro) was suggeriert, dass man gerade miterlebt, wie er komponiert. Als seine Frau Constanze eintritt und seine Aufmerksamkeit auf sich zieht, endet die Musik abrupt – die kreative Arbeit ist unterbrochen. So muss es doch gewesen sein, oder?

Die Wahrheit ist allerdings eine andere, denn der Schaffensprozess bei Mozart lässt sich, folgt man dem Musikwissenschaftler Ulrich Konrad, in vier Abschnitte unterteilen. Im ersten Abschnitt befasste Mozart sich mit einer Werkidee, studierte ähnliche Werke anderer Komponisten und improvisierte am Klavier. Im zweiten Schritt schrieb er seine eigenen Ideen nieder, meist verkürzt und skizzenhaft. Der dritte Schritt war die Niederschrift in einem Manuskript, einer „Entwurfspartitur“. War dieser Schritt vollendet, so hatte Mozart das Werk als „komponiert“ bezeichnet. In der vierten Phase ging es dann an die Erstellung einer fertigen Partitur. Als Mozart also 1780 in Bezug auf Idomeneo schrieb, es sei alles „komponiert“, war die Oper schon fertig niedergeschrieben, nur noch nicht im Sinne eines letzten Arbeitsschrittes ausgearbeitet.

Morgane Heyse
Morgane Heyse | Foto: Herwig Prammer

IDEEN AUS DEM UNTERBEWUSSTEN

Damit ist aber im Endeffekt nur der handwerkliche Prozess geschildert, nicht aber, wie die Ideen für Mozarts Musik entstanden sind. Am Klavier zu improvisieren und zu probieren ist im Lichte des Genie-Kultes aus dem 19. Jahrhundert ja fast blasphemisch profan. Wo ist da das Besondere? Das Mystische? Das Außergewöhnliche?

Es ist schwierig zu beschreiben, wo eine Idee herkommt. Sie erscheint einfach oder bricht sich Bahn, es fehlt vielleicht einfach am Vokabular, um es eindeutig und unmissverständlich jemand anderem gegenüber beschreiben zu können. Hinzu kommt, dass Ideen auch aus dem Unterbewusstsein oder aus Träumen emporsteigen können. Anton Bruckner hat über den Beginn des ersten Satzes seiner 7. Sinfonie gesagt, dass er die Melodie geträumt hätte. Was dann geschieht, ist Musikgeschichte und weltweit bekannt. Leonard Bernstein hat in dem Film Reflections den Versuch unternommen, den Kompositionsprozess so detailliert wie möglich zu beschreiben. Abgesehen vom Improvisieren und Ausprobieren am Klavier ist die nachstehende Szene besonders interessant: Ausgestreckt auf einer Couch liegt Bernstein und schläft. Gleichzeitig erklärt die Stimme des gefeierten Dirigenten und Komponisten, dass man als Künstler die kreative Arbeit dann am besten verrichtet, wenn man sich hinlegt. Man stellt sich daraufhin unweigerlich die Frage, ob Bernstein nun wirklich schläft. Oder komponiert er gerade? Für Bernstein war dieses Schweben zwischen Träumen und Wachen genau der richtige Zustand, um kreative Ideen zu entwickeln oder – wie er es sagt – sie aus dem Unbewussten aufsteigen zu lassen, um sie dann weiterzuverarbeiten.

Die Fragen nach der Herkunft von Ideen, wie ein Meisterwerk entsteht, was daran pure Kreativität und was Hand- und Regelwerk ist, beschäftigte François De Carpentries und Karine Van Hercke. Sie haben ein Konzept entwickelt, das die Zauberflöte im Lichte dieser Fragen betrachtet und dabei Mozart selbst sehr ernst nimmt. Lassen sie sich also in Mozarts Gedankenwelt einladen, die voller Musik steckt und in der es um nichts anderes geht.

Ensemble Die Zauberflöte
Ensemble | Foto: Herwig Prammer

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