Was war das für ein Bild? Es war vermutlich reicher, als Artmanns Polemik vermuten ließ. Und ähnelte wohl nicht zuletzt der Hauptfigur in Hermann Bahrs Theaterstück Der Franzl aus dem Jahr 1900. Hier konnten die Theaterzuschauer in fünf Bildern die Lebensreise des Poeten Stelzhamer bewundern, der stets ein bisschen randständig in den Tag hineinlebt, mehr von Luft und Liebe als von Bier und Brezn, immer wieder daran scheitert, sich in die Gesellschaft oder in eine Karriere zu integrieren, weil im entscheidenden Moment das lose Mundwerk mit ihm durchgeht. Auf dem Höhepunkt eines jeden der fünf Bilder, sei’s im Wirtshaus, bei den Eltern oder im vornehmen Salon in Linz, wenn die Konflikte um den Franzl nicht mehr überbrückbar scheinen, improvisiert er mit der plötzlichen Inspiration des antiken Rhapsoden einen Gesang, ein Gedicht, das die gespannte Situation zusammenfasst und auflöst. Bahrs Franzl ist ein weiser Narr, lebt nah am Quell einer Inspiration, die aus dem Strom der volkstümlichen Sprache und der Volkesweisheit schöpft. Seine Sprunghaftigkeit, Unfähigkeit etwas festzuhalten oder aufzubauen, ist gerade der Ausdruck dieser Weisheit, die um die Vergänglichkeit der Welt und aller Dinge weiß, die wie ein ungeniertes Kind die Wahrheit spricht. Das Stück wurde 1908 in Linz am Vorabend der Einweihung des Stelzhamer-Denkmals im Volksgarten aufgeführt.
Vier Jahrzehnte später setzt der Germanist Hans Commenda sich maßgeblich für die Erhebung eines Stelzhamer-Gedichts zur Landeshymne ein. 1953 schreibt er über den Dichter: „Im Abschnitt ‚Sibyllinisches‘ seines 1852 erschienenen Werkes Das bunte Buch vereinte Stelzhamer eine Reihe von politischen Rück-, Um- und Ausblicken, die geradezu verblüffen durch die Mischung zeitgebundener Vorurteile und seherischer Zukunftsblicke. Meist erst nach dem Jahre 1848 verfasst, greifen sie doch auf dessen Ereignisse zurück und erweisen ihren Verfasser auch auf dem Gebiete der Politik als tiefen, selbständigen Denker.“
Stelzhamer also nicht nur eine Art früher Hippie und dichtender Naturbursch, nein, auch tiefer, selbständiger Denker auf dem Gebiet der Politik.
Das Bild war unvollständiger als H. C. Artmann dachte. Heldenverehrungen beziehen sich häufig auf Figuren, die mit einer oder wenigen Taten in die Geschichte eingegangen sind, ohne dass die Nachwelt wirklich wüsste, mit wem sie es zu tun hat. Das gilt für Wilhelm Tell genauso wie für Franz Stelzhamer. Zwar wurde in den Dokumenten seiner Hinterlassenschaft geforscht, aber die Zeit ist kurz, die Wissenschaft ist lang, und Stelzhamers Nachlass ähnlich zerstreut wie seine Vita. In den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts stieß der Autor Ludwig Laher auf immer mehr Zeugnisse von Stelzhamers Antisemitismus. Und veröffentlichte diese. In Briefen, Schriften und Gedichten zeigt sich Stelzhamer als Judenhasser, in seinem berüchtigten „Bunten Buch“ sogar als Vorreiter und Erfinder einer völkermörderischen antijüdischen Rhetorik. Die Diskussionen um den Heimatdichter sind seither nicht abgerissen. Insbesondere, da er in Straßennamen, Denkmälern, Kulturvereinen und – nicht zuletzt – der Landeshymne weiter überaus präsent ist.