NATASCHA, PIERRE UND DER GROSSE KOMET
Die junge Natascha ist mit Andrej verlobt, der sich allerdings im Krieg gegen Napoleon befindet. In Moskau verliebt sie sich in Anatol, einen verantwortungslosen, aber charismatischen Mann, der sie gewissenlos verführt. Pierre, ein Freund von Nataschas Familie, wird beauftragt, den Skandal zu vertuschen. Das gelingt ihm halbwegs, er muss sich aber eingestehen, dass er selbst seit Langem in Natascha verliebt ist. Er zieht sich von ihr zurück, um nicht alles noch komplizierter zu machen. In dieser Situation tritt er auf die Straße und erblickt den Großen Kometen – im Musical ist es die letzte Szene, im Roman findet sich der Abschnitt ziemlich genau in der Mitte des 2000-seitigen Werks:
„Es war frostig und klar. Über den schmutzigen, halbdunklen Straßen, über den schwarzen Dächern stand ein dunkler Sternenhimmel. Pierre blickte nur zum Himmel, ohne das verletzend Niedrige alles Irdischen im Vergleich zu der Höhe zu empfinden, auf der sich seine Seele befand. Beim Einbiegen auf den Arbatplatz öffnete sich seinen Blicken der riesige Raum des dunklen Sternenhimmels. Beinahe in der Mitte dieses Himmels, über dem Pretschistenski-Boulevard, stand, von allen Seiten umgeben, überschüttet von Sternen, jedoch von allen unterschieden durch seine Nähe zur Erde, durch sein weißes Licht und den langen, nach oben gerichteten Schweif, der gewaltige helle Komet des Jahres 1812, derselbe Komet, von dem es hieß, er prophezeie alle nur möglichen Schrecken und das Ende der Welt. Doch in Pierre weckte dieser leuchtende Stern mit dem langen strahlenden Schweif keinerlei Schreckensgefühle. Im Gegenteil, Pierre blickte freudig und mit tränenfeuchten Augen auf diesen leuchtenden Stern, der scheinbar mit unsagbarer Geschwindigkeit auf einer Parabollinie unermessliche Räume durchflogen hatte, um schlagartig, wie ein Pfeil sich in die Erde bohrt, hier an einer von ihm gewählten Stelle am schwarzen Himmel hängenzubleiben, energisch den Schweif aufzurichten, zu leuchten und mit seinem weißen Licht inmitten der zahllosen anderen funkelnden Sterne zu spielen. Pierre schien dieser Stern vollkommen dem zu entsprechen, was in seiner zu neuem Leben erblühten, weich gestimmten und ermutigten Seele war.“
Dave Malloy, der Autor des Musicals, beschreibt, wie er diesen Abschnitt liest, so:
„Pierre sieht den Kometen ungefähr in der Mitte von Krieg und Frieden, es ist kein Ende, sondern ein neuer Anfang. Seine Seele erblüht und wächst, und sein Leben wandelt sich wieder und wieder, es wird wilder, schrecklicher, schöner, tiefgründiger, als er sich je vorgestellt hatte.“
Wer erleben möchte, wie Natascha, Pierre und die anderen wunderbaren Tolstoi’schen Figuren durch einen wilden, schrecklichen, schönen und tiefgründigen Abend geleitet werden, den laden wir ins Musiktheater ein. Denn den gibt es nur in Linz: Natascha, Pierre und der Große Komet von 1812 von Dave Malloy, inszeniert von Musicalchef Matthias Davids (zuletzt Fanny und Alexander und Anastasia), ausgestattet von Andrew D. Edwards (Priscilla und Anastasia), choreografiert von Kim Duddy (The Wiz und Anastasia), in der Musikalischen Leitung von Tom Bitterlich mit dem Linzer Musicalensemble, Mitgliedern von TANZ LINZ und neun sogenannten „Roving Musicians“ („umherstreifenden Musiker:innen), die die Musik dahin bringen, wo sie gebraucht wird!