1. Sie beraten die Theaterleitung. 2. Sie begleiten Konzeption und Proben zu den Aufführungen. 3. Sie stellen die Programmhefte zusammen, schreiben Werbetexte, helfen das Programm eines Theaters an das Publikum vermitteln.
Klingt doch gar nicht schlimm. Wollen Sie jetzt noch die ausführliche Version? Oder wenden wir uns gleich der Frage zu, was die Leute eigentlich haben gegen Dramaturg*innen? Niemand hat natürlich etwas gegen Dramaturg*innen. Allerdings geht ihr Erscheinen für viele Zuschauer (und Schauspieler) einher mit Phänomenen, die sie mit dem Abschied vom guten alten Theater in Verbindung bringen. Wobei – ich weiß – Theater früher immer besser war, und dann ging irgendetwas schief. Das Erscheinen des Dramaturgen, der Dramaturgin, geht einher mit dem Aufstieg des Regietheaters. (Ein Begriff, auf den wir später noch einmal zurückkommen.) Aber was heißt hier „Erscheinen“? Gab es früher keine Dramaturgen? Und wann wäre dieses „früher“?
Nur fürs Protokoll: Dramaturgen, ebenso wie Regisseure, gab es schon zu Goethes Zeiten, wenn auch die Bezeichnungen nicht fix waren: Regisseure hießen manchmal Spielleiter, häufig übernahm der Prinzipal der Truppe diese Aufgabe; Dramaturgen waren zum Teil identisch mit Dramatikern – siehe Schiller oder Lessing. (Im Zusammenhang mit diesen historischen Zeiten sei erlaubt, männliche Formen zu verwenden, da – mit Ausnahme von Friederike Caroline Neuber – Damen in diesen Funktionen wirklich nur sehr selten vorkamen.)
Allerdings stoßen wir selbst in den Berichten lang bestehender großer Bühnen noch in der Nachkriegszeit des 20. Jahrhunderts oft auf die Figur des einsamen Dramaturgen, der im Dachkämmerlein sitzt, begraben unter Bücherbergen, und es irgendwie (mit Zauberkraft?) geschafft hat ohne Internet und Fotokopierer Stücke zu lesen, Rollenbücher anzufertigen, Programmhefte zu füllen und zum Druck fertig zu machen. Und dann, wie schon gesagt, geschah irgendetwas.
Die Ensembles wurden kleiner – die Dramaturgien größer. Was schon insofern unpopulär klingt, als jeder Zuschauerin einleuchtet, was der Schauspieler im Theater macht, aber kein Mensch weiß, wozu eigentlich Dramaturg*innen nötig sind. Und darum müssen wir kurz anschauen, was sich in den großen Stadt- und Staatstheatern seit der Nachkriegszeit des 20. Jahrhunderts tatsächlich geändert hat:
Die Ensembles wurden kleiner. Die Stückvorlagen und Theaterformen wurden unterschiedlicher. Und (eine sehr wichtige Erscheinung, die sich erst seit etwa 20 Jahren durchsetzt): Die Regieteams sind nicht mehr an die Theater gebunden.
Die Auswirkungen von Punkt eins und zwei lassen sich relativ leicht vergegenwärtigen: Noch im 20. Jahrhundert waren die großen deutschsprachigen Bühnen meistens in der Lage einen Klassiker wie „Die Jungfrau von Orleans“, sagen wir: „so ähnlich“ wie in der Uraufführung zu besetzen. Das Stück hat 30 geschriebene Rollen, die Hälfte davon Hauptrollen, jede Menge Statisterie, von den Sprechrollen können 15 locker doppelt oder mehrfach besetzt werden. Macht: etwa 20 Schauspielerinnen und Schauspieler plus Statisterie und Kleindarsteller*innen auf der Bühne. Im Jahr 2013 haben die Salzburger Festspiele in Koproduktion mit dem Deutschen Theater Berlin (beides eher große Spielbetriebe) „Die Jungfrau von Orleans“ mit elf Schauspieler*innen besetzt. Und die Aufführung wurde nicht als klein oder zu wenig repräsentativ empfunden. Eine Aufführung desselben Stücks bei Linz09 hatte neun Schauspieler*innen, im deutschen Stadttheater kann man das Stück heute auch in kleineren Besetzungen erleben. Und die Ursache hierfür ist nicht in erster Linie die ästhetische Vorliebe der Regisseur*innen, sondern die gestiegenen Personalkosten, sprich: Verkleinerung der Ensembles. In der Regel muss ein Stadt- und Staatstheater neben einem solchen Klassiker zugleich noch zwei oder drei andere Stücke proben. Das bedeutet, es steht maximal die Hälfte des Gesamtensembles oder ein Drittel (oder ein Viertel) davon zur Besetzung des Großklassikers zur Verfügung. – Und hier zeichnet sich bereits eine der Hauptbeschäftigungen von Theaterleiter*innen, Regisseuren und Dramaturginnen ab: Zählen. Rollenzählen, Seitenzählen, Probentagezählen. Vorstellungenzählen. Schauspieler*innenzählen. Auch dazu später mehr. – Um „Die Jungfrau von Orleans“ mit einem Ensemble von elf Schauspieler*innen zu besetzen, muss man kürzen, muss Figuren streichen und Figuren „zusammenlegen“, und das alles so, dass dennoch ein Text übrig bleibt, der an „Die Jungfrau von Orleans“ erinnert. Und wie wir leicht verstehen können, ist diese Arbeit seit dem Jahr 1955 mehr geworden. Hinzu kommt: 1955 hätten diese Arbeit zum großen Teil die Regisseure (auch hier wäre die männliche Form gerade noch angemessen) selbst getan. Heute tun die Regisseur*innen diese Arbeit immer noch. Doch es hat sich etwas anderes Entscheidendes geändert: 1955 wären die besagten Regisseure „Hausregisseure“ gewesen. Und das bedeutet: sie kannten das Ensemble, arbeiteten ständig mit ihm, waren fest an dem Theater angestellt. Folgende, fiktive, Szene lässt sich 1955 vorstellen: Der Theaterdirektor schlägt dem jungen Hausregisseur vor, „Die Jungfrau von Orleans“ zu inszenieren. Der Regisseur sagt „Toll! Mein Lieblingsstück! Ein Traum wird wahr.“ Der Direktor sagt: „Du bekommst 15 Schauspieler.“ Der Jungregisseur wieder: „Fantastisch. Das erlaubt Konzentration. So können wir den Kern des Werks besser herausarbeiten.“ Der Direktor wieder: „Und die Hauptrolle spielt meine Frau.“ Und der Regisseur: „Eine interessante Vorstellung.“ Der Direktor: „Sie ist eine große Schauspielerin.“ Der Regisseur: „Ganz ohne Frage.“ Der Direktor: „Für sie machen wir das Stück.“ Der Regisseur: „Na dann.“
Dieser Dialog wäre vor 70 Jahren vorstellbar gewesen, wenn auch nicht alle derartigen Unterhandlungen notwendig nach seinem Muster abgelaufen wären. In der Gegenwart wäre dies Gespräch schon sehr viel schwerer denkbar. Und warum das so ist, und wie es womöglich heute abliefe, dazu kommen wir in unserem nächsten Teil.