Jede Liturgie ist heiliges Schauspiel.

Dompfarrer Toni Faber im Interview

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Toni Faber, einer der bekanntesten und geselligsten Priester Österreichs, ist seit 20 Jahren Dompfarrer von St. Stephan und Dechant des ersten Wiener Bezirks. Der Wiener City-Seelsorger will für alle da sein – für die Prominenz ebenso wie für die Menschen am Rande der Gesellschaft. Eines seiner Bekenntnisse formuliert er daher sehr weltlich: Wir müssen uns zu Solidarität und Demokratie bekennen.

Herr Dompfarrer Faber, das Motto der Spielzeit 2019/2020 des Linzer Landestheaters lautet Bekenntnisse. Ist das ein Begriff, der in Ihren Predigten oder Gesprächen oft Verwendung findet?

Ja, am Ende jeder Predigt heißt es: „Lasst uns unseren Glauben bekennen.“ Auch sonst bekenne ich mich wiederholt, es ist ein Alltagsbegriff für meine Predigten. Bei jeder Taufe sage ich „Bekennt euren Glauben“. Es ist außerdem auf den ersten Blick erkennbar, dass ich ein Geistlicher bin, und auf diese Weise lege ich schon rein äußerlich stets ein Bekenntnis ab. Das kann beim anderen ein Nachdenken in Gang setzen: Kann ich von dir etwas erwarten? Kannst du mir, wenn ich es benötige, helfen, mich aufzurichten?

Beinhaltet für Sie ein Bekenntnis, sich auch außerhalb der Dommauern, also in unserer Gesellschaft zu bekennen?

Auf jeden Fall, ich bin laufend als christlich- katholischer Kirchenvertreter angefragt, an gemeinschaftlichen Arbeiten mitzuwirken. Es wird aber auch mein Beitrag erwartet, wenn es darum geht, Menschen zusammenzuführen, vor allem dann, wenn Menschen ausgegrenzt werden. Wir als Kirche haben gerade in der heutigen Zeit auch zu zeigen, wo wir in der Gesellschaft stehen. Wir müssen für Demokratie, für Solidarität und Aufrichtigkeit eintreten und uns dazu bekennen.

Leider mutieren religiös verbrämte Bekenntnisse gerade in jüngster Zeit zu Fanatismus und Gewalt. Ab welchem Zeitpunkt wird ein Bekenntnis in seiner Ausdrucksform problematisch oder sogar gefährlich?

Es wird dann gefährlich, wenn es sich als absolut setzt, wenn jemand die Auffassung vertritt, sein Bekenntnis ist im Gegensatz zu allen anderen das einzig wahre.

Foto: Herwig Prammer

Es ist wahrscheinlich schwierig, dem etwas entgegenzuhalten?

Für mich ist Papst Franziskus dahingehend ein Vorbild. Er ist viele Schritte auf die muslimische Community zugegangen, unter anderem rief er bei seinem Besuch in Marokko dazu auf, sich nie gegenüber Menschen anderen Glaubens als überheblich zu zeigen.

Gibt es Ihrer Meinung nach Überschneidungen bzw. Parallelen zwischen Kanzel und Bühne? 

Natürlich, jede Liturgie ist heiliges Schauspiel! Ich bin begeistert vom Theater, und von der Kunst allgemein. Jede Theologie, die nicht offen ist, ist eine einäugige Theologie. Ich habe vieles gesehen, das mich gepackt, ja verändert hat im Theater. Mir tut jeder Priester leid, der glaubt, mit frommen Büchern das Auskommen zu finden. Die vier Evangelien der Heiligen Schrift sind das eine, das Leben ist das andere. Dass ich mich auf Augenhöhe mit den namhaftesten Künstler*innen sehen kann, beschenkt mich ungeheuer.

Einige Kirchenvertreter und auch die Bevölkerung reagieren auf provokante religiöse Themen auf der Bühne manchmal mit Empörung. Einer der größten Theaterskandale war wohl Rolf Hochhuths Drama Der Stellvertreter, das die Haltung des Vatikans zum Holocaust thematisierte. Die Österreichische Erstaufführung am Wiener Volkstheater führte sogar zu einem Handgemenge im Publikum. Abgesehen von diesem Extrembeispiel, wie stehen Sie als Kirchenvertreter zu einem Theaterstück, dessen Inhalt oder Statement sich nicht mit der offiziellen Kirche deckt?

Ich erinnere mich auch an Peter Turrinis Stück Tod und Teufel. Wenn ein homosexueller Geschlechtsakt mit eucharistischen Handlungen verglichen wird, fühlt sich natürlich mancher Geistliche gekränkt, aber was will dieses Stück sagen? Die Sünde muss wieder benannt, die Vergebung erfleht werden. So habe ich das damals als Ausbildner mit meinen Priesterseminaristen diskutiert. Glauben Sie mir, so viele sind noch nie im Burgtheater (Anm.: Uraufführung 1990) gewesen; nur dort, wo provoziert wird, kann man Aufmerksamkeit erreichen. Ich glaube, wir als Geistliche sollten nicht zu wehleidig sein.

Ich habe auch in einer Fernsehdiskussion mit dem Karikaturisten Gerhard Haderer über den haschenden Jesus diskutiert und ihm gesagt, dass ich über diese Darstellung nicht erfreut bin. Haderer meinte damals unter anderem, er hätte gerne meinen Glauben.

Foto: Herwig Prammer

In dieser Spielzeit ist am Linzer Landestheater Lessings Drama Nathan der Weise zu sehen. Inwiefern hat dieses über 200 Jahre alte Stück heute noch seine Gültigkeit? 

Ich finde es toll, dass es in Linz gespielt wird, natürlich ist es immer noch  aktuell und wichtig, weil wir gerade jetzt sehr leicht in Gefahr kommen, in einen Muslimenhass abzugleiten. Wenn wir dazu neigen, müssen wir uns aber selbst auf die Brust klopfen, denn wie haben wir uns als christliche Kirche zu Religions- kriegen, Machtinteressen, kämpferischen Auseinandersetzungen missbrauchen lassen.

Darf oder sollte ein Priester auch zu politischen Fragen ein Bekenntnis ablegen?

Im privaten Bereich und in der Predigt mache ich das auch, in Interviews muss ich sehr aufpassen. In parteipolitische Auseinandersetzungen mische ich mich nicht ein, das ist nicht meine Aufgabe. Meine Aufgabe ist dort, wo es um Schwache, um Ausgrenzung von Leuten geht. Meine Rolle ist es, Seelsorger in der Stadt zu sein. Ich denke, da sollte ich mir nichts verbauen, denn ich will für alle da sein!

Sie sind gerne gesehener Gast bei Events und Bällen, setzen sich damit aber auch Kritik aus. Einige werfen Ihnen vor, Sie seien ein „Society-Pfarrer“, was mit der Würde eines Priesters nicht vereinbar sei, andererseits erreichen Sie durch Ihre Bekanntschaft mit der Prominenz auch vieles.

Absolut. Hier ist mir sehr viel möglich. Ich fühle mich mit meinen Sandlern genauso wohl wie mit der High Society oder meinen 70 Tauf- und Erstkommunionskindern jährlich. Ich gehe auf Bälle, bei denen ich mit verschiedenen Berufsgruppen zu tun habe, segne Banken und Kaufhäuser, habe Kontakt zu Politiker*innen und habe festgestellt, dass man nicht verallgemeinern sollte. Ich kenne vernünftige und dumpfe Politiker*innen in allen österreichischen Parteien.

Foto: Herwig Prammer

Sie finden offenbar für jede und jeden die richtige Sprache. Basiert diese Fähigkeit aufgrund Ihrer Herkunft? Sie sind in sehr ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen und kennen von daher viele Bevölkerungsschichten.

Ja bestimmt, ich möchte auch nichts missen. Die Sandler sind per Du mit mir, und sie können sich von mir auch etwas erwarten. Fünfmal im Jahr haben wir ein großes Festmahl. Ich kann mich erinnern, als ein Sandler mir in der U-Bahn über zehn Meter hinweg zugerufen hat: „Hearst Toni, gehst wieda zu de Gstopftn? Is eh guat, da reißt wieda wos für uns aussa.“ Und es stimmt ja, und die Bedürftigen wissen das, um 200 Leute auszuspeisen, muss ich auch zu den sogenannten „Gstopften“ gehen, die das finanzieren.

Ich mag aber ebenso die High Society. Richard Lugner stellt mir immer seine Freundinnen vor und meinte einmal: „Kannst mich nicht segnen mit meiner 25-Jährigen?“ Das geht natürlich nicht.

Ich nehme mein Umfeld teilweise als sehr nervös wahr, Beschimpfungen und Aggressionen nehmen zu. Der britische Ökonom Paul Collier spricht gar von einer Rottweiler-Gesellschaft. Welches Bekenntnis wünschen Sie sich für unser Zusammenleben?

Den Respekt vor dem Anderssein und seinem menschlichen Kern erkennen zu wollen. Jemanden im Extrem auch die Haltung entgegenzubringen: Du bist mir zwar unverständlich, aber ich kann anerkennen, dass du anders bist.

Wie kann man diese Haltung im Alltag leben?

Wir sollten zumindest versuchen, nicht zu verurteilen und egal nach wem die Hand auszustrecken. Was mich betrifft, so habe ich immer ein offenes Ohr, für jeden. Ich kenne ja viele, die zu mir kommen, schon sehr lange, und wenn sie sich dann plötzlich öffnen, also gewissermaßen bekennen, sagen, was sie wirklich bewegt, dann sind das Himmelsmomente für mich, Sternstunden in der Seelsorge. 

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