Ganz klar, Nummer 1 (aber vermutlich eigentlich das kleinere Problem): Der Live-Charakter. Dramaturg:innen sind keine Schauspieler:innen (wenigstens die meisten) und sind es daher nicht gewohnt, Texte auswendig zu lernen. Auch stellt sich die Frage, warum man eine Einführung auswendig lernen soll, wenn man sie genauso gut vorlesen kann. (Viele Dramaturg:innen machen genau das.) Wenn man eine Einführung jedoch vorlesen kann, stellt sich die Frage, warum man sie nicht gleich in Form kopierter Zettel austeilen soll. (Der Grund, warum das Letztere nicht möglich ist, liegt auf der Hand: Dafür gibt es ja Programmhefte, die zur selben Zeit, in der die Einführungen stattfinden, nämlich in der letzten halben Stunde vor der Vorstellung, in den Theaterfoyers zum Kauf angeboten werden.) Aber warum gibt es Einführungen, wenn die Leute genauso gut das Programmheft lesen können? Und: Wenn man die Einführung nicht als kopierte Zettel austeilen kann, könnte man sie auch vom Tonband laufen lassen. (Auch das wird gemacht.) Lässt man die Einführung jedoch vom Tonband laufen, kann man sie genauso gut auch vorlesen. Wir sehen schon, das sind lauter Überlegungen, bei denen sich die Katze in den Schwanz beißt und die uns zu guter Letzt zurück auf Start werfen: Wenn die Einführung nicht abgelesen wird, dann womöglich weil der Live-Charakter, die direkte Kommunikation mit dem Publikum, vielleicht auch das Halb-Improvisierte daran eine Rolle spielen. Daraus folgern wiederum manche Dramaturg:innen, dass eine Einführung zuvor nicht aufgeschrieben oder auswendig gelernt werden sollte. Und wer im Theater schon einmal etwas gesehen hat, dass zuvor nicht aufgeschrieben oder auswendig gelernt wurde, weiß, wie das in‘s Auge gehen kann.
Punkt 2 (und das wirkliche Problem): Was soll man den Zuschauer:innen in der Einführung erzählen? Dass Zuschauer:innen häufig lieber eine Einführung hören, als auf eigene Faust im Programmheft herumzulesen, gründet vielleicht auch auf einer Überlegung, die so ähnlich gehen könnte wie: dass die Dramaturg:in in der Einführung ja nur begrenzte Zeit hat und den Zuschauer:innen in diesen 10 Minuten genau die Information gibt, die sie für am wichtigsten oder am nützlichsten zur Vorbereitung des Theaterabends hält, während ein Programmheft 32 Seiten hat und niemand der Zuschauer:in sagt, welche davon für den weiteren Verlauf des Abends nützlich sind.
Sehr grob und kurz: Irgendwie nützlich wäre es, den Zuschauer:innen etwas über das Stück und das Konzept der Inszenierung mitzuteilen. Doch Theaterstücke sind gern lang und kompliziert. Das Regiekonzept zu diskutieren, ohne dass die Zuhörer:innen die Aufführung bereits gesehen oder die Handlung des Stück gegenwärtig haben, kann ein bisschen trocken sein. Das könnte bei den Hörer:innen auch im ersten Schritt zu Überforderung und im zweiten zu Abwehr führen. Und die Einführung soll ja genau das Gegenteil erreichen: Sie soll den Theaterabend zugänglicher machen. Lassen wir also zunächst mal das Konzept weg und konzentrieren uns auf die Handlung. Etwas von der Handlung mitteilen, geht immer: Bei vielen Zuschauer:innen ist das auch gerade darum populär, weil das deutschsprachige Sprechtheater heute nicht mehr so einen eindeutigen Zeichencode wie die Sprechtheater anderer Kulturnationen oder Film und Fernsehen haben. Weshalb das Publikum in den Vorstellungen oft wertvolle Zeit damit verbringt, sich erst einmal in diesen Zeichencode hineinzufinden. Die Zeiten sind nun zwar nicht mehr so wild wie in meiner Jugend, als meine Eltern oft das halbe Wochenende lang gerätselt haben, was sie im Theater eigentlich gesehen haben. Heutige Regiehandschriften versuchen mehr, ihr Publikum, wie es so schön heißt: abzuholen. Aber das wissen die Zuschauer:innen vorher ja noch nicht. Weshalb zuweilen schon die pure Redundanz willkommen ist, die in der Bestätigung liegt, dass man heute – beispielsweise – ein Stück namens Hamlet sieht, das die Geschichte von Prinz Hamlet erzählt, usw.
Da manche Einführungen nicht in den Foyers, sondern auf der Bühne des Theaters vor geschlossenem Vorhang stattfinden (oder weil Einführungen, die in den Foyers gegeben werden, durch Mithöranlagen auch hinter der Bühne hörbar sind), muss die Dramaturg:in außerdem darauf achten, nicht zu viel von der Handlung des Stücks preiszugeben. Andernfalls sind anschließend die Schauspieler:innen verstimmt.
Man muss also ein Stück der Stückhandlung erzählen, aber nicht zu viel (zwischen einem Drittel und der Hälfte), und dann etwas zum Konzept. Und jetzt kommen die Offenbarungs-Eide. Was erzählt man vom Konzept? Man könnte mutmaßen, dass Zuschauer:innen, die zu Einführungen gehen, gern auf jene Teile vorbereitet werden, in denen das Regietheater zuschlägt, nennen wir es: Überraschungen und Abweichungen vom Erwarteten. Gerade solche Elemente preiszugeben finden Dramaturg:innen aber meist schnöde. Einmal, weil Regieerfindungen (oder auch Bühnenbilderfindungen) ja gerade überraschen wollen, und – in der unerwarteten konkreten Form, auch basierend auf ihrer sinnlichen Qualität – oft auch überzeugen können. In dürren Worten von der Dramaturg:in nacherzählt, und das auch noch vorwegnehmend, wird eine konzeptuelle Setzung vielleicht weniger überzeugen, als in ihrer sinnlichen Präsenz später auf der Bühne. Wiederum stellt sich die Frage: Schreckt die einführende Vorbereitung auf Derartiges womöglich eher ab, als dass sie hinführt zu der Aufführung. Und gilt nicht hier noch umso mehr, was schon für die kaputtgemachte Überraschung der vorwegerzählten Stückhandlung gilt: nämlich dass eben genau die Überraschung durch die einführende Vorwarnung genommen wird? Gehen wir aber davon aus, dass Einführungsbesucher:innen eher Menschen sind, die Überraschungen weniger gern haben als die, die nicht zu Einführungen gehen. Damit kommen wir zu dem dritten Vorbehalt, der es Dramaturg:innen schwer macht, ein Regiekonzept im Vorhinein zu erklären. An den meisten Theatern gibt es heute Theatervermittler:innen, die in der Lage sind, Inszenierungen und Texte zu vermitteln und bei den Interpretation professionell zu helfen. Eine ähnliche Funktion übernehmen in Museen die Museumspädadgog:innen. Nur sehr selten trifft man in Museen Künstler:innen, die ihre eigenen Kunstwerke erläutern. Und Autor:innen wie Susan Sontag und Umberto Eco haben in berühmt gewordenen Aufsätzen erklärt, warum sie das nicht tun. Eco sagt sogar, dass der ideale Autor nicht nur schweigt, sondern am besten tot ist. Nun sind Theateraufführungen, anders als die meisten Werke der Bildenden Kunst, kollektive Kunstwerke und die Dramaturg:innen fühlen sich als enge Mitarbeiter:innen der Regie. Theatervermittler:innen tun das in der Regel nicht. Und der oben angeführten Argumentation folgend ist das für die Vermittlung der Theateraufführungen von Vorteil. Zwar hat die Dramaturg:in unter Umständen tiefere Einsichten in die Ideen der Regie. Aber das Spiel der Kunst liegt ja auch im Theater darin, dass das Werk auch in den Augen und den Köpfen des Publikums immer wieder mit- und neu-geschaffen wird. Und die reine Tatsache, dass zum Beispiel eine Regisseurin sich bei irgendeinem Teil des Werkes nichts oder nicht viel gedacht hat, heißt noch lange nicht, dass gerade dieser Teil für die Zuschauer:innen nicht von größter Bedeutung sein kann. Aber das führt uns in den Bereich der Medientheorie. Das kommt ein andermal.