Sprechen wir heute über die Vorbereitungsarbeit.
Zuerst einmal müssen Regie und Stückprojekt zusammengebracht werden, dann wird das Projekt weiterentwickelt, die Besetzung entsteht, ein Regiekonzept, das Bühnenbild, das Ausstattungskonzept, Ideen für Musik und andere Medien wie Video, Licht, etc. und natürlich eine Textfassung.
Bei der Entstehung des Regiekonzepts kann eine Dramaturg:in enger oder weniger eng einbezogen sein, kann wie eine Koautor:in mitarbeiten, kann bloß in der Nähe sein, oder weiß am Rand Bescheid und vertraut der Regisseur:in und ihrem Regie-Team. Sowohl größere Nähe als auch größere Distanz der Dramaturg:in zum Kreativteam haben ihre Vorteile: Bei größerer Nähe kann die Dramaturg:in mehr und schneller Input geben, Wissen und Inspiration, bei mehr Distanz fällt es ihr dafür später leichter, die Probenarbeit unvoreingenommen anzuschauen und zu sehen, was für enger Eingebundene dann vielleicht schwerer zu erkennen ist.
Doch vom Anfang: Theaterleiter:innen und Dramaturg:innen beobachten routinemäßig den Theatermarkt, Inszenierungen von Regisseur:innen, die sie interessant finden, die ihnen vielleicht empfohlen wurden. Irgendwann entscheidet man sich, eine bestimmte Regisseur:in anzusprechen und ihr eine Inszenierung an dem eigenen Theater anzubieten. In der Regel, weil man kürzlich eine tolle Inszenierung dieser Regisseur:in sah. Die Theaterleiter:in spricht die Regisseur:in an, macht einen Stück- oder Projektvorschlag und als Nächstes – unter Umständen schon vor der Zusage der Regisseur:in – spricht die Dramaturg:in mit der Regisseur:in über das vorgeschlagene Projekt, nimmt allenfalls Gegenvorschläge der Regisseur:in an. Bei einer ersten Zusammenarbeit zwischen Regisseur:in und Theater ist es häufig so, dass die Theater erst mal etwas Ähnliches von der Regisseur:in wollen wie das, was sie gerade anderswo grandios von ihr gesehen haben. Kennt man sich schon besser, hat eine Vertrauensbasis, werden beide Seiten meist experimentierfreudiger.
Vertrauen ist ein wichtiges Wort, das für den weiteren Prozess die größte Rolle spielt: Immerhin stellt das Theater einer Regisseur:in und ihrem Team die Kernressource ihrer Produktionsmittel für eine aus einer begrenzten Zahl von Produktionen zur Verfügung. Umgekehrt investiert die Regisseur:in ihre Zeit und Kreativität, auch ihr Renommée, in die Zusammenarbeit mit dem auftraggebenden Theater. Nicht zuletzt gibt sich die Regisseur:in dabei in die Hände ihrer Dramaturg:in, welche – gerade bei einer ersten Zusammenarbeit – großen Einfluss nimmt, denn die Dramaturg:in kennt das Theater und sein Ensemble von innen und die Regisseur:in nicht. Sagt also eine Dramaturg:in: „Das ist ein brillanter Komödiant, der kann Pointen setzen“, wird ihr das die Regisseur:in glauben.
Nun bildet sich Vertrauen durch Vertrauensvorschuss. Aber auch – das wollen wir nicht unterschlagen – durch kleine Tests und Beweise. So will die gute alte Sitte es, dass die Dramaturg:in, um die Arbeit mit der Regisseur:in anzufangen, sie besuchen bzw. zu ihr hinreisen muss. Manchmal lebt die Regisseur:in in derselben Stadt, in der das auftraggebende Theater steht, meist in der nächstgrößeren oder auch gleich in der Hauptstadt (also Wien oder Berlin, Bern natürlich nicht, da wohnen keine Regisseur:innen). Typische Treffpunkte sind scheußliche Cafés, die von den Regisseur:innen als ihr zweites Wohnzimmer ausgewiesen werden (scheußlich müssen die sein, weil es sonst zum Arbeiten zu laut wäre, in den Hauptstädten sind alle annehmbaren Kaffeehäuser zu Zeiten, da die Regisseur:innen bereit sind sich zu treffen, überlaufen). Ein anderer typischer Treffpunkt sind die Ateliers der Bühnenbildner:innen, die häufig in derselben Stadt leben wie ihre Regisseur:innen. Und nur Regisseur:innen, die genug Geld verdienen, dass sie tolle Wohnungen bewohnen, laden die Dramaturg:in auch in diese ein. Aber nicht beim ersten Treffen.
Ich überspringe die Getränkewahl und komme gleich dazu, dass Regisseur:in und Dramaturg:in sich gegenseitig ihre Laufbahn erzählen und auf gemeinsame Bekannte überprüfen. Kulturelle Favourites werden abgeglichen (Film, Buch, Serie, Komponist:in, Sänger:in, Urlaubsorte – und (Obacht!) andere Regisseur:innen), weiter in das Gespräch eingestreut werden gern Literaturverweise („Kennst du dieses tolle Buch …?“), wobei die Dramaturg:in sich vor allem hüten muss, sich für ihre Unkenntnis irgendeines südamerikanischen Essayisten oder Befreiungstheologen zu schämen. (Die richtige Antwort lautet immer: „Kenn ich nicht. Nie gehört.“) Man versteht es schon: Getestet wird bei solchen Treffen – rituellerweise – mehr die Dramaturg:in von der Regisseur:in als umgekehrt. Aus vielen Gründen. So hat die Dramaturg:in von der Regisseur:in ja zu diesem Zeitpunkt mindestens eine tolle Aufführung gesehen, vielleicht mehrere. Umgekehrt hat die Regisseur:in von der Dramaturg:in keine Aufführung gesehen. (Warum auch? Die hat da ja nur die Dramaturgie gemacht.) Junge Dramaturg:innen werden mehr geprüft als mittelalte.
Nun ist es soweit, sich über das Projekt oder das Stück zu unterhalten (gehen wir für diesen Modellfall mal von einem Stück aus). Dabei ist die Rollenverteilung die, dass die Regisseur:in die Erfinderin, die Dramaturg:in die Begleiter:in der Produktion ist. Das liegt vor allem daran, dass die Regisseur:in später auch die Proben leitet und nur sie den Schauspieler:innen vermitteln kann, was sie will, wie sie den Text versteht, und was sie jenseits dessen, was der Text in ihren Augen sagt, außerdem noch will. Die Dramaturgin ist auf Proben tendenziell oder ausschließlich die Beobachter:in. Und aus diesen Rollen ergeben sich schon in der Vorbereitung – wenigstens typischerweise – verschiedene Rollen auch im Reden über einen Stücktext:
Zu Anfang werden beide Seiten sich dem Stück weitläufig, assoziativ annähern, werden erzählen, wie sie den Text heute verstehen, wo für sie die Stärken, wo die Aktualität liegt oder was sie immer schon mal gerne in Verbindung mit diesem Text oder diesem Thema sehen wollten. Die Dramaturg:in wird erklären, warum das Haus, das sie vertritt, dies spezielle Stück im Spielplan haben will, die Regisseur:in wird erklären, was sie daran interessieren könnte. Die Regisseur:in ist noch immer in der Rolle der Umworbenen (sie könnte das Projekt noch ablehnen), deshalb wird sie manche Idee in Bezug auf das Projekt als Bedingung formulieren („Sollte ich dieses Stück wirklich machen, kann ich mir das überhaupt nur unter Zuhilfenahme eines Life-Video-Künstlers vorstellen.“).
Mehr und mehr nehmen die Gesprächspartner:innen zwei verschiedene Rollen ein: Die Regisseur:in als „Erfinder:in“ wird beschreiben, wie sie den Text liest, wie er vielleicht zuletzt von anderen gelesen wurde und inwiefern ihre Lesart sich von der der anderen unterscheidet. (Würde ihre Lesart sich nicht unterscheiden, bräuchte man sie als Erfinder:in ja gar nicht.) Demgegenüber wird die Dramaturg:in – so sehr auch sie die Bedeutung des Stücks für die Gegenwart und das aktuelle Publikum beschreibt – immer mehr zur Referentin der traditionellen Lesarten und der eingeschriebenen Wirkweisen des Textes werden.
Nach ein paar Stunden endet das Gespräch, ein nächstes wird verabredet, die Regisseur:in wird empfangene Impulse weiterdenken, anfangen mit ihrer Bühnenbildner:in, ihrer Kostümbildner:in zu sprechen, aber auch die Dramaturg:in bekommt Hausaufgaben, die sie mit zurück in ihr Theater nimmt.