34 | Interventionismus

WasmachenDramaturg:innen?

Vergangene Woche war ich leichtsinnig genug zu versprechen, diese Woche eine Liste von Problemen vorzulegen, die in unserem Stadttheatersystem das Eingreifen einer Theaterleitung in den Probenprozess rechtfertigen.

Gleichzeitig besprachen wir, warum im Idealfall die Theaterleitung nicht in den Prozess eingreifen sollte. Um noch einmal zu erinnern, was „Eingreifen“ in unserem Zusammenhang eigentlich heißt: Ein bisschen theoretisch haben wir das bereits formuliert, wir nannten es die Außerkraftsetzung der Regel, dass die Regisseur:in auf der Probe die letzte Entscheidung trifft. Praktisch heißt es meistens – wenn es so weit kommt –, dass sich die Theaterleiterin oder der Theaterleiter vor die Schauspieler:innen und das Regieteam hinstellt und ihre/seine Kritik an der Inszenierung dem gesamten Team selbst vorträgt. Je nachdem ergibt sich daraus eine Diskussion, die mit Beschlüssen endet, welche die Theaterleiter:in ohne vorherige Absprache mit der Regisseur:in gutheißt.

Welche Probleme rechtfertigen derartiges Eingreifen (und welche nicht)? Fangen wir mit den eindeutigen Fällen an: Alles, was mit den Gesetzen des Bürgerlichen und des Strafrechts kollidiert, ohne dass die Produktionsteams (die ja meist keine Juristen sind) den Bedarf zu einer Änderung bemerken oder zugestehen, kann das Eingreifen der Leitung erforderlich machen. Also Dinge wie Verletzung von Persönlichkeitsrechten, Verletzung von Urheberrechten, Verbreitung jugendgefährdender Schriften, Volksverhetzung etc. Nun hört man immer wieder einmal Vorwürfe gegen Aufführungen, die sich solcher Übertretungen schuldig gemacht haben. Was leicht nachvollziehbar daran liegt, dass Theaterleitungen ja keine Gerichte sind und das Vorhandensein entsprechender Tatbestände in denselben Fällen bestreiten mögen. Dann müsste der jeweilige Fall von einem wirklichen Gericht geklärt werden. Wenn hingegen der Theaterleiter selbst der Überzeugung ist, dass in einer Aufführung, die er oder sie zu verantworten hat, Gesetze übertreten werden, wäre er oder sie verpflichtet, dies auch gegen die Meinung der beteiligten Künstler:innen zu verhindern.

Sie haben es schon bemerkt: Selbst in diesem Bereich – dem des juristisch begründeten Eingreifens einer Theaterleitung in die Probenarbeit – gibt es eine Unschärfe, die im Gewissen der Theaterleitung liegt: Nur sie kann schließlich wissen, was sie wirklich glaubt. Glaubt sie, ein Gesetz wird übertreten oder glaubt sie eben das nicht (im Zweifelsfalle nach Beratung mit einem Juristen). Glaubt sie es nicht und greift demnach nicht ein, aber eine Zuschauer:in wäre nach der Aufführung der Inszenierung anderer Meinung, kann die Letztentscheidung über das Geschehen auf der Bühne wiederum zum Richter weiterwandern. In den meisten Fällen kommt es nicht so weit, weil die Theater (im Gegensatz zu allem, was Sie je gehört haben) den Skandal scheuen und spätestens die Klageandrohung in der Regel dazu führt, dass Theaterleiter:innen Änderungen an beanstandeten Aufführungen vornehmen.

Kommen wir nun aber zurück zu dem Bereich der Kunst, der sich außerhalb von Gesetzesübertretungen abspielt, der gedeckt ist von der Meinungsfreiheit, und der eigentlich nur von Geschmacksfragen bestimmt wird. Da die Theaterleiter:innen selbst Stück und Beteiligte bestimmen, sind es selten weltanschauliche Differenzen, die zu schwerwiegenden Auseinandersetzungen hinter den Kulissen führen. Es bleibt also beim Geschmack. Und über Geschmack lässt sich schlecht streiten.

Nun würden einige Theaterleiter:innen vielleicht sagen, dass es neben weltanschaulichen und geschmacklichen Kriterien noch handwerklich qualitative gibt. Ich neige dazu, handwerkliche Aspekte (wie: Verständlichkeit der Erzählung, Umgang mit der Sprache, Licht, Akustik) ebenfalls als Geschmacksfragen zu sehen. Beispiel: Peter Zadek. Der machte als Jung-Regisseur Furore, weil er zuließ, dass Protagonist:innen seiner Inszenierungen nuschelten (undeutlich artikulierten). Für die Traditionalisten ein handwerklicher Fehler, für Zadek ein ästhetisches Statement.

Theaterleiter:innen sind bei der Entscheidung einzugreifen oder nicht also in gewisser Hinsicht einsam. Der kürzlich verstorbene Jürgen Flimm sagte einmal: „Kinder, wenn wir wirklich wüssten, was Erfolg hat, würden wir doch nur noch das machen.“ Eingreifen hat meist mit der Erwartung von Erfolg bzw. Misserfolg zu tun. Und mit der Unmöglichkeit, vorauszusagen, welches von beiden eintreten wird.

Greifen wir zu einer Hilfskonstruktion: Dem idealen Skandal. Wie Sie überall zu hören bekommen haben, liebt das Theater den Skandal. Und vor einigen Jahrzehnten gab es tatsächlich noch so etwas wie den idealen Skandal, der maximales Getöse gemacht und anschließend dafür gesorgt hätte, dass das Theater jeden Abend bummvoll ausverkauft war. Ein Theaterleiter, der in diesem Falle vorher eingegriffen hätte, um den Skandal zu verhindern, wäre ein schöner Esel gewesen.

Wenn es aber den idealen Skandal gibt, dann gibt es auch das Gegenteil: Den Skandal, der schadet und nix nutzt. Diesen Fall hätten wir bei einer Aufführung, die das Publikum nachhaltig abschreckt, ohne irgendein Geräusch dabei oder sonstwie unbezahlte Werbung gemacht zu haben. Eine Aufführung, die still und leise das Theater leerspielt, teuer war, für viele Vorstellungen disponiert und eine riesige Besetzung hat. Sollte eine Theaterleiterin nun in der Endprobe einer solchen Inszenierung sitzen und ihr Rheuma flüstert ihr ins Ohr, dass sie da gerade einen sicheren Totalausfall heranrauschen sieht, dann wäre sie keine treue Geschäftsführerin, wenn sie nicht die Schritte einleiten würde, die am Ende allenfalls zu einem Eingreifen führen können. Welche Schritte sind das: Die Theaterleiterin spricht mit dem Dramaturgen, der zuckt mit den Schultern, sie spricht mit der Regisseurin, diese ist der Meinung, dass es nichts zu ändern gibt. Die Theaterleiterin muss Schaden von ihrem Betrieb abwenden und zieht die die Reißleine.

Sie haben es bemerkt: Da sind viele „wenns“ und „danns“ enthalten. Denn: Was immer einer Direktorin Rheuma für todsicher halten mag, in Wahrheit gibt es keine Sicherheit. Und was auf einer Probe schrecklich aussieht, kann sich am Premierenabend immer noch als größter Hit seit der Dreigroschenoper herausstellen.

Die weise Direktorin weiß das auch. Und muss daher abwägen, wie hoch die Wahrscheinlichkeiten einzuschätzen sind. Stets wird sie nur zögerlich und minimal-invasiv eingreifen, wenn überhaupt. Und dafür gibt es auch noch einen zweiten Grund: Eingreifen kann zur Sucht werden. Es gab in der Vergangenheit Theater, die dafür berühmt waren, dass ihre Direktoren regelmäßig in den Endproben zum „Retten“ ausrückten. Sogenannte „Retter-Intendanten“. Man ahnt schon, wie beliebt die bei den Regisseur:innen waren. (Zum Glück gibt es die heute selbstverständlich nicht mehr.) In den Theatern selbst führte fortgesetzte Retterei dazu, dass die Schauspieler:innen zu Beginn der Proben bereits wussten, am Ende kommt der Chef und reißt das Ruder rum. Weshalb sie bis zu diesem Zeitpunkt oft mit halber Kraft probten, weil das, was in den ersten fünf oder sechs Proben-Wochen entstand, später unter Umständen verworfen wurde.

Am Rande haben wir vermerkt, dass Direktor:innen und Dramaturg:innen genügend Instrumente haben (insbesondere aber das beratende Gespräch), um den Erfolg einer Inszenierung mit herbeizuführen. Rettungen sind also meist die Folge von Ungeduld und schwachen Nerven. Peter Brook hätte gesagt: Kommen Sie lieber gar nicht erst in Not.

Weitere Themen

Viel Lärm um nichts Ensemble
SchauspielTeaserSchauspielhaus

Aus dem Reich der Freiheit

Zum fulminanten Beginn der neuen Spielzeit im Schauspiel gab es nicht nur bei unserem Theaterfest Viel Lärm um das Theater und die Liebe. Seit 14. September ist William Shakespeares Viel Lärm um nichts in der Inszenierung unseres neuen Schauspieldirektors David Bösch im Schauspielhaus zu erleben. Dramaturg Martin Mader gibt Einblicke in die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Tragödie und Komödie. Und wie beide in den Werken William Shakespeares nicht ohne einander auskommen.

VielLärmUmNichtsPremierenfieber
Trilogie der Sommerfrische
SchauspielTeaserSchauspielhaus

Blind Date in der Sommerfrische

Der Dichter Franzobel stammt, so gibt er selbst es an, aus dem Arbeitermilieu, der Vater arbeitete im Chemiewerk, der Urgroßvater war Bierausfahrer (der Großvater betrieb immerhin ein eigenes Tapeziergeschäft). Der Dramatiker Carlo Goldoni, ein Arztsohn aus Venedig, kommt oberflächlich gesehen aus flamboyanteren Verhältnissen. Auch wenn die Familie erst zwei Generationen vor ihm – durch Heirat – zu Geld gekommen war, es zwischenzeitlich allerdings wieder verloren hatte.

PremierenfieberTrilogieDerSommerfrische
Der diskrete Charme der Bourgeoisie
SchauspielSchauspielhaus

Die Frau mit den vielen Begabungen

Mit Anna Marboe ist es so: Wenn sie einen Raum betritt, füllt er sich mit positiver Energie. Und sie muss viel davon haben. Denn wenn man mit der 27-Jährigen telefoniert, ist sie meist unterwegs und steckt in irgendeinem Zug auf dem Weg zur nächsten Probe oder zum nächsten Konzert. Und auch ansonsten kann es einem leicht einmal passieren, dass sie verblüffend selbstverständlich an den unterschiedlichsten Orten (gleichzeitig?) auftauchen kann.

PremierenfieberDerdiskreteCharmederBourgeoisie
Fischer Fritz
SchauspielSchauspielhaus

Fischer Fritz wurde beim 41. Heidelberger Stückemarkt mit dem Nachspielpreis ausgezeichnet!

Die 41. Ausgabe des Heidelberger Stückemarkts, eines der renommiertesten Festivals für Gegenwartsdramatik in Deutschland, fand vom 26. April bis 5. Mai 2024 am Heidelberger Theater statt. In diesem Jahr stand Georgien im Fokus als Gastland. Der Stückemarkt bietet eine bedeutende Plattform für innovative Theaterproduktionen und talentierte Künstler:innen. Neben dem Autor:innenpreis sind auch der Jugendstückepreis und der seit 2011 verliehene Nachspielpreis ausgeschrieben, letzterer soll die nachhaltige Förderung neuer Dramatik vorantreiben.

FischerFritzHeidelbergerStückemarkt
Die Physiker Sujet
SchauspielSchauspielhaus

Die Dialektik der Technik

Von Günther Anders stammt der Satz: „In keinem anderen Sinne, als Napoleon es vor 150 Jahren von Politik, und Marx es vor 100 Jahren von der Wirtschaft behauptet hatte, ist die Technik heute unser Schicksal.“ Was der Autor von Die Antiquiertheit des Menschen besorgt auf den Punkt bringt, ist die konzise Schlussfolgerung einer Debatte, die weit vor die Zeit des Kalten Krieges zurückreicht.

PremierenfieberDiePhysiker
Celebration (Florida) Probe
SchauspielSchauspielhaus

Viel Talent in Celebration (Florida)

In der traditionellen Kooperation des Landestheaters mit dem Schauspielstudio der Anton Bruckner Privatuniversität kommt es dieses Jahr zu einer regelrechten Ballung der Talente:
Es beginnt mit dem Stück, Celebration (Florida) von Felix Krakau, das 2022 im Drama Lab der Wiener Wortstätten entstanden ist. Ein Entwurf des Stücks war anonymisiert aus über 100 Einsendungen zur Förderung ausgewählt worden.

PremierenfieberCelebration(Florida)
König Ottokars Glück und Ende, Christian Taubenheim und Helmuth Häusler
SchauspielSchauspielhaus

Schwache starke Männer

„Starke Männer“ sind aus dem politischen Geschehen der Gegenwart nicht wegzudenken, mögen sie nun Donald Trump, Wladimir Putin, Xi Jinping, Viktor Orbán, Recep Tayyip Erdoğan, Jair Bolsonaro oder Rodrigo Duterte heißen. Sie sind Vertreter einer sogenannten disruptiven Politik und als solche erstaunlich erfolgreich. Offenbar treten sie im 21. Jahrhundert gehäuft auf, allerdings gab es Disruptoren und „Starke Männer“ auch in früheren Jahrhunderten.

PremierenfieberKönigOttokar