Warum sind Theater, von den alten Griechen bis zu uns, vom Staat abhängig? Die kürzeste Anwort auf diese Frage ist: weil Theater Machen mehr Geld kostet, als es einbringt. Die Ausnahme von dieser Regel waren die Massengesellschaften vor der Einführung des Kinematographen und des Radios. Darum konnte Max Reinhardt auch noch um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert sagen: „Man kann gar nicht dumm genug sein, um als Theaterunternehmer nicht Millionär zu werden.“ Kaum nahm der Rundfunk zu Beginn der 20er in Deutschland seinen Dienst auf, sagte er bereits etwas ganz anderes. („Das Theater ringt heute um sein Leben.“) Die alten Griechen aber finanzierten ihr Theater kollektiv in Form von Festspielen, mit Beteiligung der Bürger auf der Bühne (in den Chören) und wenigen Schauspiel-Profis in den Hauptrollen, die von der Bürgerschaft (also vom Staat) bezahlt wurden: Das alt-attische Modell. Shakespeare und Molière hingegen verdienten, wenigstens nachdem sie mit ihren Theatertruppen die Hauptstädte erreicht hatten, gutes Geld. Davor waren sie beide jahrelang durch die Provinz getingelt und hatten sich selber ausgebeutet. Warum aber unterstellten sie sich dennoch, auch nachdem sie sich in London bzw. in Paris etabliert hatten, der Schutzmacht eines Fürsten? (Die Geschichten sind vergleichbar, beide Truppen, die von Shakespeare ebenso wie die Molières hatten zunächst einen fürstlichen Schutzherrn, welcher – nach dem durchschlagenden Erfolg der beiden Truppen – von dem jeweiligen König als Patron abgelöst wurde.) Um die Frage zu beantworten: Die Schauspieler brauchten Rechtsschutz, um nicht vogelfrei zu sein. Und darin lag die doppelte Kontrollmacht über das Theater, welche für den größten Teil der Neuzeit ausgeübt wurde: die legale und die finanzielle Abhängigkeit der Theatertruppen von den Potentaten.
In Österreich funktionierte das genauso, wiederum mit einer bedeutenden Ausnahme: Johann Nestroy. Der trat vor allem in den zu seiner Zeit aufkommenden privatwirtschaftlichen Theatern auf (den Vorstadttheatern) und war daher finanziell vom Staate unabhängig. Aber auch von den legalen Methoden der Disziplinierung ließ er sich nicht schrecken, weshalb er immer wieder auf Ersuchen der Zensurbehörde im Gefängnis landete. Natürlich konnte auch er sich den Mechanismen der Zensur nicht einfach entziehen: auch er musste seine Stücke vor der Aufführung bei den Behörden einreichen. Doch am Abend selbst, wenn der Saal kochte, band ihn kein Gebot und er feuerte seine gefürchteten Extemporés ab – mit dem oben erwähnten Ergebnis. Nestroy war also doppelt unabhängig – was aber natürlich durch seinen Erfolg beim Publikum ermöglicht wurde. Dass die Gefolgschaft der Zuseher nicht automatisch subversive Künstler produzierte, sehen wir an Ferdinand Raimund. Der hätte sein Leben drum gegeben, eines Tages einen Ruf zum Burgtheater (damals: Nationaltheater) zu erhalten. Und schon aus diesem Grund verstieg er sich in seinen Possen nie zu ähnlich ätzender zersetzender Kritik wie sein Kollege Nestroy. Dass es mit dem Burgtheater dennoch nichts wurde, lag an seiner verheerenden polizeilichen Führungsakte (häusliche Gewalt, Raufereien im Parkett). Dennoch reden wir hier von zwei Ausnahmen von der Regel. Die Regel aber war, dass Theatermacher:innen im Kaiserreich ein Engagement an einer Hof- oder Landesbühne anstrebten. Das war für sie der einzige Weg zu einem dauerhaften wirtschaftlichen Auskommen. Und da jeder wusste, dass auf diesem Weg die polizeiliche und die politische Führungsakte eine zentrale Rolle spielte, disziplinierte sie dies.
Loben wir also unsere modernen Demokratien, die – ähnlich den alten Griechen – den Theatermacher:innen Subvention und Rechtssicherheit gewähren.